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Chuzpe: Roman (German Edition)

Chuzpe: Roman (German Edition)

Titel: Chuzpe: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lily Brett
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Nacht lag Ruth im Bett und versuchte einzuschlafen. Sie bemühte sich, nicht an Zofia und Walentyna zu denken und auch nicht daran, daß sie nicht einschlafen konnte. Sie hatte viel Energie darauf verwendet, sich keine Sorgen darüber zu machen, daß sie nicht einschlafen konnte, oder darüber, wieviel Schlaf ihr fehlte. Sie lag im Bett und versuchte nicht nervös zu werden, weil sie nicht einschlafen konnte. Sie wollte nicht an Zofia, Walentyna und Edek denken. Sie wollte nicht wissen, wo sie zu Abend gegessen hatten. Sie wollte nicht wissen, wo sie spazierengegangen waren. Sie wollte nicht wissen, wie es ihnen erging. Sie wollte nicht wissen, wo sie schliefen. Sie wußte, daß sie in Edeks Apartment wohnten. Sie wollte nicht über die Bettenverteilung in Edeks Apartment nachdenken. In Edeks Schlafzimmer gab es ein extrabreites französisches Bett. Und im Wohnzimmer gab es ein extrabreites Schlafsofa. Wer schlief wo? Hatte Edek möglicherweise aus Ritterlichkeit den Damen sein Schlafzimmer überlassen? Schlief Edek möglicherweise im Wohnzimmer? Warum dachte sie darüber nach, wo die drei schliefen? Ruth warf einen Blick auf die Uhr. Es war Viertel vor zwei. Sie überlegte sich, daß Edek und Zofia und Walentyna höchstwahrscheinlich schliefen. Eine Menge Leute schliefen höchstwahrscheinlich. Zachary, Zelda und Kate schliefen höchstwahrscheinlich. Sonia schlief höchstwahrscheinlich. Halb New York schlief höchstwahrscheinlich. Nur sie nicht.
    Sie war hellwach.Am nächsten Tag rief Edek Ruth im Büro an. Sie wußte, daß ihr Ton unwirsch war. Selbst ihr Hallo war schroff.
    »Was ist los mit dir, Ruthie?« sagte Edek.
    »Nichts«, sagte sie. »Ich bin spät ins Bett gekommen.«
    »Wir waren gestern abend in einem neuen Restaurant, ich und Zofia und Walentyna«, sagte Edek. »Wir waren in einem jemenitischen Restaurant. Weißt du, was ist ein Jemenite?«
    »Ein Jemenite ist ein Jude, der im Jemen lebt«, sagte Ruth.
    »Oder ein Jude, was hatte Vorfahren, was lebten im Jemen«, sagte Edek.
    »Ja, ein Jude, dessen Vorfahren früher im Jemen ansässig waren«, sagte Ruth in merklich gereiztem Ton. Entweder war Edek ihre Gereiztheit entgangen, oder er tat so, als habe er sie nicht bemerkt. »In diesem jemenitischen Restaurant haben wir gutes jüdisches Essen gegessen«, sagte er. »Sie hatten dort so einen großen Pfannkuchen mit einem harten Ei in der Mitte. Sie hatten so einen Salat, was man bekommt in Israel, mit gehackten Gurken und Tomaten und Zwiebeln und ein paar Radieschen, glaube ich.«
    »Du hast Salat gegessen?« sagte Ruth. »Du ißt doch nie Salat.«
    »Sowieso«, sagte Edek. »Zofia und Walentyna hatten ein bißchen Salat zu ihrem Fleisch.«
    Ruth war fassungslos. Sie hatte kurz, ganz kurz, vergessen, daß Zofia und Walentyna mit Edek essen gegangen waren. Die Erwähnung des Salats hatte sie für einen Augenblick davon abgelenkt. Sie hatte alles andere vergessen. Ihr war zumute gewesen, als wäre alles wie früher. Edek unterhielt sie mit der plastischen Schilderung dessen, was er gegessen hatte. Sie merkte, daß sie sich daran gewöhnt hatte, daß ihr Vater ihr seine solitären Mittags- und Abendmahlzeiten schilderte. Sie nahm an, daß es nicht mehr viele dieser Mahlzeiten geben würde.
    »Das neue Restaurant, was wir haben entdeckt, hat einensehr guten Gefilte Fisch«, sagte Edek. »Die Hühnersuppe fand ich nicht so gut. Es war ein bißchen Kerry oder Paprika drin.« Ruth mußte sich zurückhalten, um nicht darauf hinzuweisen, daß der jemenitischen Küche Curry so fremd war wie der israelischen. Sie merkte, daß sie sinnlos verärgert war. »Zofia hat gesagt, das Hühnchen war sehr gut«, sagte Edek. »Sie mag solche Sachen, was sind scharf. Ich hatte Kebabs, was waren sehr gut. Und Walentyna hat gemocht ihr Huhn sehr gern.«
    Ruths Verärgerung verwandelte sich in Ungeduld. Wollte Edek jeden einzelnen Bissen aufzählen, den sie gegessen hatten?
    »Ist irgendwas nicht in Ordnung, Ruthie?« fragte Edek.
    »Nein«, sagte Ruth. Sie wußte, daß es kein sehr überzeugendes Nein war. Aber Edek genügte es. Er wirkte nicht weiter besorgt.
    »In dem neuen Restaurant gibt es auch Latkes«, sagte er.
    »Wie heißt das Restaurant?« fragte Ruth.
    »Kannst du bitte eine Minute warten?« sagte Edek. Diesen Satz sagte er immer langsam und deutlich. In förmlichem Ton. Als hielte er eine Ansprache im Buckingham Palace. Kannst du bitte eine Minute warten? Edek hatte das so und nicht anders gesagt, seit sie ihr erstes

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