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Chuzpe: Roman (German Edition)

Chuzpe: Roman (German Edition)

Titel: Chuzpe: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lily Brett
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könnten, als sie vor der Tür ihres Zimmers lautes Stimmengewirr hörte. Sie öffnete. Edek, Zofia, Walentyna und Max standen vor der Tür. Sie redeten alle durcheinander. Und strahlten. Zofia und Walentyna sahen glücklich aus. Und wohlauf. Sie zeigten keinerlei sichtbare Folgen der langen Flugreise oder eines Jetlags. Sie sahen beneidenswert gesund aus. Zofia trug ein enges, tiefdekolletiertes entenblaues Top und einen dunkelaquamarinblauen Stretchrock. Der Rock war eng und kurz. Sie hatte blaue Schuhe an. Passend zum Blau ihrer Augen. Sie sah so energiesprühend aus wie vor fast zwei Jahren in Polen. Sie wirkte so energiegeladen, daß es einschüchternd war. Geradezu unanständig energiegeladen. So viel Energie, dachte Ruth, gehörte verboten. Zofias Haut war glatt und faltenlos. Ihre Brüste waren fest und spitz. Als hätten sie etwas zu sagen. Etwas Gewichtiges. Ihre Beinewaren glatt, wohlgeformt und muskulös. Zofia war kräftig. Sie hatte kräftige Arme und Hüften. An ihrer Kräftigkeit war nichts Schlabberiges. Sie sah stark und gesund aus.
    Ihr zu enger, zu kurzer Rock und ihre blonde Stachelfrisur waren die vielleicht einzigen Indizien, daß sie eben erst angekommen war. Möglicherweise aus Polen. Ihr Haar war zu gelb. Ein New Yorker Colorist würde eine gebleichte Blondine niemals gelb werden lassen. Er hätte das Gelb zu einer blasseren, weniger schreienden Haarfarbe abgemildert. Es sei denn, die Kundin wäre jung, ein Teen oder ein Twen. Aber das war bei Zofia nicht der Fall. Zofia war Mitte sechzig. Walentyna trug ein cremefarbenes Kleid mit Gürtel. Das Kleid hatte einen großen Kinderkragen. In diesem Kleid sah Walentyna noch zierlicher aus, als sie ohnehin war. Es war ihr zu groß. An den Schultern zu weit. Zu weit in der Taille und an den Hüften. Der riesige Kragen ließ ihren Hals zwergenhaft erscheinen. Aber von ihren Lebensgeistern konnte man nichts dergleichen behaupten. Walentyna wirkte so viel lebhafter, aufgeregter und lebendiger, als Ruth sie in Polen erlebt hatte. New York, das auf manche eine einschüchternde, dämpfende Wirkung haben konnte, hatte Walentyna offensichtlich mit seiner Lebhaftigkeit angesteckt.
    »Hallo«, sagte Ruth; sie hoffte, daß ihr Ton heiter und einladend klang. Zofia und Walentyna blickten auf und eilten herbei, um sie zu begrüßen. Zofia umarmte Ruth so herzlich, daß Ruth fürchtete, sie würde ihr für alle Zeiten die Lunge zerquetschen. Sie hatte vergessen, wie energisch Zofia war. Körperlich. Und auch in ihrer Begeisterungsfähigkeit.
    Walentyna küßte Ruth auf beide Wangen. »Es ist sehr schön, Sie wiederzusehen«, sagte sie.
    Zofia sah Ruth erneut an. »Sie sehen nicht gesund aus, Ruthie«, sagte sie. »Geht es Ihnen nicht gut?«
    Geht es mir nicht gut? dachte Ruth. Ja, das konnte manwohl sagen. »Nein«, sagte sie. »Ich bin nur ein bißchen müde.«
    »Sie arbeitet viel zuviel«, sagte Edek. »Ich habe ihr das gesagt immer wieder.«
    »Ich arbeite nicht zuviel«, sagte Ruth. »Meine Arbeit ist nicht besonders schwer. Ich arbeite nicht annähernd so schwer wie ein Maurer oder Bauarbeiter. Ich arbeite nicht so schwer wie ein Tellerwäscher im Restaurant oder wie ein Briefträger.«
    »Warum redest du von einem Maurer oder einem Briefträger?« sagte Edek. »Du wolltest nie werden ein Maurer oder ein Briefträger.«
    »Ich habe nur Beispiele für Berufe genannt, in denen schwer gearbeitet wird«, sagte Ruth.
    »Und wozu?« fragte Edek. »Du hast kein einziges Mal in deinem ganzen Leben gesagt, du wolltest werden ein Briefträger.«
    Ruth wünschte, sie hätte zugestimmt, daß sie viel zuviel arbeite.
    »Edek, Liebling«, sagte Zofia, »Ruthie sagt nur, daß sie körperlich nicht so schwer arbeitet wie in anderen Berufen.«
    Edek, Liebling ? Zofia war noch keine vierundzwanzig Stunden im Lande, und schon war Edek Edek, Liebling.
    »Ruthie, ich und Walentyna freuen uns sehr, Sie wiederzusehen«, sagte Zofia.
    Ruth lächelte.
    »Ruthie freut sich auch, euch wiederzusehen«, sagte Edek.
    Tara kam in das Büro. »Terra«, sagte Edek aufgeregt, »ich möchte Sie bekanntmachen mit Zofia und Walentyna, meinen Freundinnen aus Polen. Zofia und Walentyna, das ist Terra McGann«, sagte er mit einer Verbeugung. »Terra ist ein sehr nettes Mädchen.« Tara, Max, Zofia, Walentyna und Edek standen da und plauderten. Ruth war ein wenig hilflos.Sie kam sich überflüssig vor. Alle verstanden sich so prächtig miteinander. Tara sah auf ihre Uhr.
    »Ich mache mich jetzt

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