Chuzpe: Roman (German Edition)
leichter, nicht wahr?« sagte Edek.
»Ja, das stimmt«, sagte Ruth.
»Das ist dasselbe, was auch Max hat gesagt«, sagte Edek, der erfreut aussah.
Edek schlug einen der Ordner auf Ruths Schreibtisch auf. Er winkte Zofia und Walentyna zu sich. Alle drei beugten die Köpfe über den Ordner. Edek blätterte die Seiten um.
»Ruthie schreibt Briefe für solche Leute, was sind reich. Und jetzt ist sie selbst ein reiches Mädchen.«
»Das bin ich nicht«, sagte Ruth.
»Pah«, sagte Edek wegwerfend. »Leute zahlen ihr eine Menge Geld, nur damit sie schreibt einen Brief«, sagte er zu Zofia und Walentyna. »Ruthie schreibt Briefe, was aussehen wie Briefe, was geschrieben haben diese Leute. Nur daß sie sind cleverer als Briefe, was normale Leute können schreiben.«
»Leute bezahlen Ihnen Geld, damit Sie Briefe schreiben?« sagte Walentyna zu Ruth.
»Die Leute zahlen ihr eine Menge Geld«, sagte Edek.
»Wieviel?« fragte Zofia.
»Hunderte von Dollar«, sagte Edek feierlich, als verkünde er etwas.
»Hunderte von Dollar«, wiederholten Zofia und Walentyna im Chor.
»Ja, Hunderte von Dollar«, sagte Edek.
Alle drei traten einen Schritt zurück und betrachteten Ruth voller Bewunderung. In Edeks Bewunderung mischte sich Besitzerstolz.
Edek nickte bekräftigend. »Meine Tochter ist sehr klug«, sagte er. »Nicht jeder hat eine Tochter, was ist so klug.«
Beide Frauen nickten zustimmend.
»Ich muß mich wieder an die Arbeit machen«, sagte Ruth.
»Sowieso«, sagte Edek. »Sie hat viele reiche Kunden, was warten auf ihre Briefe«, sagte Edek zu Zofia und Walentyna.
Selbst eine Stunde nachdem Edek, Zofia, und Walentyna gegangen waren, hatte Ruth sich von ihrer Benommenheit noch nicht erholt.
Max rief Ruth an. »Mrs. Lord ist am Telefon«, sagte Max. Iris Lord war eine langjährige Kundin. Sie hatte zu Ruths allerersten Kunden gehört. »Mrs. Lord hätte gerne eine Scheidungskarte, die sie exklusiv benutzen kann. Sie will das Copyright haben und die Karte nachdrucken können.«
Ruth war fassungslos. Wie viele geschiedene oder kurz vor der Scheidung stehende Bekannte hatte Iris Lord? Ruth mochte Iris Lord. Iris Lord war Mitte sechzig und unvorstellbar reich. Ihr geschiedener Ehemann George Lord, der Erbe des Eisenwarenimperiums Lord’s Tools, hatte Iris verlassen, als sie neunundfünfzig war. Iris Lord hatte sich dem Kampf gestellt und hatte die Walstatt mit 140 Millionen Dollar verlassen.
»Mir fällt es nicht schwer, Männer kennenzulernen, die ich attraktiv finde«, hatte Iris Lord einmal zu Ruth gesagt.
Ruth vermutete, daß Iris Lord die einzige Frau in New York war, die so etwas sagte. In New York wimmelte es von Frauen, die den Mangel an attraktiven Männern beklagten.
»Ich begegne einer Menge attraktiver Männer«, sagte Iris. »Und Männern, die mich attraktiv finden.« Sie machte eine Pause. »Mit Geld ist es leichter. Geld ist ein Aphrodisiakum. Viel Geld auf der Bank wiegt einen Speckbauch auf, einen schlaffen Hintern und Schenkel voller Besenreiser. Geld kann die Nachteile des Alters beinahe ausgleichen. Ich bin wahrscheinlich genauso begehrenswert wie eine Fünfunddreißigjährige mit einem Jahreseinkommen von sechshunderttausend Dollar.«
Iris Lord wurde zu Ruth durchgestellt. Ihre Stimme klang forsch. Ruth fühlte sich alles andere als forsch. Eher verzagt. Verstört. Verunsichert. Und betrogen. Wie hatte ihr Vater das alles bewerkstelligt? fragte sich Ruth. Wie hatte er es fertiggebracht, Zofia und Walentyna von Zoppot nach New York zu verpflanzen? Ruth war überzeugt, daß die zwei Frauen dieses Manöver nicht ohne seine Hilfe hätten ausführen können. Sie konnte sich nicht vorstellen, daß die beiden sich zu diesem Schritt entschlossen hätten, wenn Edek ihre Schritte nicht gelenkt hätte.
Ruth und Iris besprachen die Scheidungskarte, die Iris sich wünschte. Iris wollte sie allgemein genug formuliert haben, um sie einer Vielzahl von Adressaten schicken zu können. Und zeitlos sollte sie sein. Ohne das Verfallsdatum zeitgebundener Anspielungen.
»Warum braucht Mrs. Lord so viele Scheidungskarten?« fragte Max Ruth, als Max sich abends anschickte, nach Hause zu gehen.
»Vermutlich weil viele ihrer Freundinnen im Begriff sind,sich scheiden zu lassen«, sagte Ruth. »Ich nehme an, daß eine Menge Leute offenbar im Begriff sind, sich scheiden zu lassen.«
»Ihr Vater nicht«, sagte Max. »Er scheint eher im Begriff zu sein, sich zu binden.«
»Vielen Dank, Max«, sagte Ruth.
In dieser
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