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Chuzpe: Roman (German Edition)

Chuzpe: Roman (German Edition)

Titel: Chuzpe: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lily Brett
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da, wo arbeiten der polnische Schreiner und der Maler. Es ist ein Lagerhaus, was sie nennen einen Workshop,obwohl es ist kein Laden. Soll ich dir sagen die Adresse?«
    »Okay«, sagte Ruth, »aber ich brauche noch etwa eine Stunde Zeit, weil ich vorher zwei Briefe zu Ende schreiben muß.«
    »Wir warten hier auf dich, Ruthie, Liebling«, sagte Edek.
    Ruth fuhr mit einem Taxi nach Williamsburg. Als sie das Gebäude erreichte, erwartete sie Edek bereits. Er beugte sich im vierten oder fünften Stock aus einem Fenster und winkte ihr zu.
    »Ruthie, Ruthie, ich bin hier oben«, rief er. Ruth ging die Treppen hoch. Edek stand am oberen Treppenabsatz. »Wir haben hier die Tische, was sind bestimmt für das Restaurant, Ruthie«, sagte er. »Sie sind in dem Hinterzimmer. Komm mit«, sagte er und lief los.
    Warum mußte ihr Vater immer so schnell laufen? Es verriet ein Gefühl der Panik, das ihn nie verlassen hatte. Panik, Dinge nicht erledigt zu bekommen. Panik, sich zu verspäten. Panik, warten zu müssen. Panik, ein Taxi oder ein Flugzeug oder eine Verabredung oder eine Mahlzeit zu verpassen. Es war, als hätte die Panik, die sich in ihm eingenistet hatte, als er im Ghetto eingekerkert war, ihn nie mehr verlassen. Alles mußte mit Höchstgeschwindigkeit erledigt werden. Für den Fall, daß nicht mehr viel Zeit blieb. So war er in Ruths Kindheit gewesen, und so war er heute. Edek hatte zwischen seinem zweiundzwanzigsten und seinem achtundzwanzigsten Lebensjahr in der Tat und mit gutem Grund angenommen, daß ihm nicht mehr viel Zeit bleiben würde. Daß er jeden Augenblick ermordet oder dahingerafft werden könnte. Seitdem war er auf der Flucht. Ruth erinnerte sich daran, wie er in Fabriken mit großen, schweren Paketen auf seinem Arm Treppen hinauf- und hinuntergeeilt war. Sogar als Ruth schon erwachsen war.
    Ruth folgte Edek. Am hinteren Ende des Raumes sah sie eine Ansammlung kleiner quadratischer Holztische mit geraden Beinen. Groß genug für vier Personen. Und für größere Gesellschaften konnte man sie aneinanderschieben. Zofia und Walentyna winkten Ruth zu sich und deuteten auf die Tische. Ruth sah die Tische an und war sprachlos. Über alle vier Ecken jeder Tischplatte waren mit Schablone und in dickem Emaillack wie ein Fries die Worte »Klops braucht der Mensch« aufgemalt. Der Emaillack war so dick, daß die Wörter in ihren beinahe unschuldig schlichten Kleinbuchstaben dreidimensional wirkten, als wären sie in die Tischplatte eingelassen. Jedes der Signets war in einer von vier stark an die fünfziger Jahre erinnernden Farben gehalten. Es gab ein dunkles Lachsrosa, ein mattes Kanariengelb, ein Eierschalenblau und ein blasses Limettengrün. Manche Tische hatten Kombinationen von gelben und rosa, andere solche von grünen und gelben Signets. Manche Tische hatten drei Farben, manche alle vier.
    »Diese Tische sind eine Wucht«, sagte Ruth.
    »Eine Wucht!« schrie Edek. »Habe ich euch nicht gesagt, daß Ruthie sie würden gefallen?« rief er Zofia und Walentyna zu. »Ich bin so froh, daß sie dir gefallen!« sagte er zu Ruth.
    »Zofia und ich sind auch froh«, sagte Walentyna.
    »Sie sind umwerfend«, sagte Ruth.
    »Das sind alte Tische, was sie gekauft haben ganz billig«, sagte Edek.
    »Wer?« fragte Ruth.
    »Die jungen Architekten, was arbeiten in der Ludlow Street«, sagte Edek. »Sie haben auch gesagt dem Maler, was er soll tun. Und er hat es gemacht sehr gut.«
    »Walentyna, zeig Ruthie die Tischtücher, die auf die Tische kommen«, sagte Zofia. Walentyna entfaltete eine durchsichtige Plastiktischdecke und legte sie über einenTisch. Der Tisch sah verführerisch aus. Fast wie etwas Eßbares.
    Ruth ließ Edek, Zofia und Walentyna strahlend zurück. Sie strahlte beinahe selbst. Sie konnte es selbst kaum fassen, wie wunderschön diese Tische aussahen. Die jungen Architekten oder Architekturstudenten – Edek hatte sich etwas ungenau ausgedrückt – waren sehr einfallsreich. Ruth hatte sich einen halben Block von dem Gebäude entfernt, als sie das Gefühl hatte, ihr Vater riefe nach ihr. Sie drehte sich um. In der Tat, dort hing Edek aus dem Fenster gelehnt und schien ihr etwas mitteilen zu wollen. Ruth ging zurück. »Du mußt dir besorgen eine neue Terra!« rief Edek.
    Als Ruth wieder in ihrem Büro war, betrachtete sie den Berg von Briefen und Notizen auf ihrem Schreibtisch. Seit Tara tagsüber nicht mehr kam, hatte sie fast jeden Abend im Büro verbracht. Ihr Vater hatte recht. Sie mußte sich eine neue Tara

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