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Chuzpe: Roman (German Edition)

Chuzpe: Roman (German Edition)

Titel: Chuzpe: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lily Brett
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besorgen.
    Ruth war spät dran. Sie war mit Sonia und Sonias Arbeitskollegin Therese zum Abendessen verabredet. Ruth kannte Therese. Und mochte sie. Therese war Anwältin, Anfang dreißig, alleinstehend und homosexuell.
    Als Ruth das Restaurant erreichte, hatte sie sich um fast zwanzig Minuten verspätet. Sie war stolz auf sich. Es war das erste Mal, daß sie zu einer Verabredung oder einem Termin zu spät kam. Sie küßte Sonia und Therese zur Begrüßung und zog ihren Mantel aus.
    »Ich habe schon für dich bestellt«, sagte Sonia. »Therese und ich sterben vor Hunger.«
    »Was hast du bestellt?« fragte Ruth.
    »Gegrillten Seeteufel mit einer Frittata aus Saubohnen und Ricotta«, sagte Sonia.
    »Das klingt großartig«, sagte Ruth.
    »Ich habe mich vergewissert, daß die Frittata im Ofen gebacken und nicht fritiert ist«, sagte Sonia.
    »Danke«, sagte Ruth schnell, bevor Sonia sich noch länger mit dem Unterschied zwischen fritiert und gebacken aufhalten konnte.
    »Warum hast du dich verspätet?« fragte Sonia. Sie wandte sich an Therese: »Ruth kommt nie zu spät. Sie ist pathologisch außerstande, sich zu verspäten.«
    »Ich habe mich einfach verspätet«, sagte Ruth. »Das ist mein neues Ich. Mein neues Ich ist imstande, sich zu verspäten.«
    »Was kann dein neues Ich sonst noch?« fragte Sonia.
    »Ich weiß nicht recht«, sagte Ruth und setzte sich. »Worüber habt ihr euch unterhalten?« fragte sie. »Was habe ich verpaßt?«
    »Wir haben uns über Liebe unterhalten«, sagte Sonia. Sonia betonte den gedehnten Vokal so übertrieben, als würde das Wort mit mindestens drei I geschrieben.
    »Ruth ist verliiiebt«, sagte Sonia. »Sie ist in ihren Mann verliiiebt. Ich bin nicht in meinen Mann verliiiebt, ich liebe meinen Mann, aber das ist bloß normale Liebe. Keine Liebe mit drei I.«
    »Ich war verliiiebt«, sagte Therese. »Ich war wahnsinnig verliiiebt in meine Ex. Aber sie war nicht wahnsinnig in mich verliiiebt.«
    »Ich kann nur hoffen, daß mein Mann immer noch in mich verliiiebt ist«, sagte Ruth. »Ich habe angefangen, mich zur Nervensäge zu entwickeln, seit er in Australien ist.«
    Das Essen wurde gebracht. Ruth war froh über die Ablenkung. Sie wollte nicht erklären müssen, worin sie sich als Nervensäge hervorgetan hatte.
    »Einer unserer Firmeninhaber hat heute gewaltig an meinen Nerven gesägt«, sagte Therese. »Ich bin noch nie gut mit ihm ausgekommen, aber heute war er unüberbietbar grob zu mir. Ich schwöre euch, daß er kurz davor war, mich als Lesbenschlampe zu beschimpfen.«
    »Dafür ist er zu clever«, sagte Sonia. »Er weiß, daß du ihn dafür vor den Kadi bringen könntest.«
    »Haben Sie den Eindruck, daß die Leute Ihnen mit Vorurteilen begegnen, weil Sie eine homosexuelle Frau sind?« fragte Ruth Therese.
    »Klar«, sagte Therese. »Vor allem Frauen. Nach meinem Coming-out war ich für Frauen einfach keine Frau mehr. Offenbar hat man kein Recht darauf, als Frau betrachtet zu werden, wenn man sich nicht für Männer interessiert. Als wenn Weiblichkeit oder Geschlechtszugehörigkeit von den sexuellen Vorlieben oder der sexuellen Orientierung abhängig wären. Es ist wirklich lächerlich. Lesbierinnen gelten offenbar als aggressiv. Keinen Mann zu wollen wird als Ausdruck von Zurückweisung und Aggressivität gedeutet. Seine Sexualität selbst auszusuchen oder die Bereitschaft, sich um seiner Sexualität willen mit dem System anzulegen, wird ganz eindeutig als unweibliches Verhalten aufgefaßt. Vor allem von anderen Frauen.«
    Ruth sah Therese an. Sie trug ein hervorragend geschnittenes dunkelblaues Kostüm. Die Jacke war tailliert und an den Hüften leicht ausgestellt. Der Bleistiftrock endete an den Knien. Das Kostüm war so feminin, wie ein Kostüm es nur sein konnte. Therese hatte dicke, schulterlange, gewellte hellrote Haare und eine sehr blasse Haut. Sie wirkte zerbrechlich und ausgesprochen feminin.
    »Therese will schwanger werden«, sagte Sonia.
    »Ich will es versuchen«, sagte Therese. »Ich habe mich gerade für eine Samenbank entschieden.«
    »Therese hat sich monatelang mit Samenbanken beschäftigt«, sagte Sonia.
    »Die Samenbanksucherei hat mir fast den letzten Nerv geraubt«, sagte Therese. »Wenn man sich so viele Websites von Samenbanken ansieht, daß man sie gar nicht mehr zählen kann, wird einem irgendwann ganz schwarz vor Augen.
    Es soll Frauen geben, die Samenbanken großartig finden, weil sie einen glauben lassen, Kontrolle über alles zu haben. Aber ich

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