Chuzpe: Roman (German Edition)
glaube, daß ich soviel Kontrolle über alles gar nicht haben will.«
»Kontrolle worüber?« fragte Ruth.
»Samenbanken untersuchen alles. Sie verwenden nur fünf Prozent des Spermas, das ihnen angeboten wird. Sie verwenden nur das Sperma, das die höchste Fruchtbarkeitsrate garantiert«, sagte Therese. »Sie untersuchen es auf die beste Beschaffenheit, die beste Beweglichkeit und hohen Spermiengehalt, was natürlich vernünftig klingt, wenn man schon so viel Geld ausgeben will.«
Vor ihrem inneren Auge sah Ruth einen Berg zurückgewiesenen Spermas. Das zurückgewiesene Sperma sah entmutigt und niedergeschlagen aus. Deprimiert und bekümmert. Ruth fragte sich, was mit dem abgelehnten, zurückgewiesenen Sperma geschah. Wurde es irgendwo vergraben? Oder einfach weggeworfen? Sie hatte ein bißchen Mitleid mit dem Sperma, das den Anforderungen nicht entsprach.
»Es ist eine Riesenindustrie, und das hat mich am Ende fast angewidert«, sagte Therese. »Auf einer der Websites kann man Handschriftenproben des Samenspenders besichtigen. Man kann für fünfundzwanzig Dollar ein Foto von ihm als Säugling kaufen. Man kann Akademikersperma kaufen. Das Ganze ist der reine Konsumterror.«
»Was für Einzelheiten erfährt man noch?« fragte Ruth.
»Sie nennen einem ethnische und religiöse Zugehörigkeit, Haarfarbe, Haarbeschaffenheit, Augenfarbe, Hautton, Blutgruppe, Größe, Gewicht, Beruf und Interessen«, sagte Therese. »Es gibt Selbstaussagen. Auf manchen Websites werden Audiokassetten angeboten.«
»Man bekommt den Mann also zu sehen«, sagte Ruth.
»Nein, es sind Audiokassetten, keine Videokassetten«, sagte Sonia. »Den Typ bekommst du nie zu sehen.«
»Gibt es Tiffany’s und K-Mart unter den Samenbanken?« fragte Ruth.
Wenn es unter den Samenbanken etwas wie Tiffany’s geben sollte, dann würde sie dort einkaufen, soviel stand fest. Sie würde gern Sperma kaufen, das prall und gesund aussah. Sie würde kein Sperma wollen, das unter Minderwertigkeitsgefühlen litt oder leicht zu entmutigen war oder sich schnell langweilte. Sie würde Sperma kaufen wollen, das neugierig war und seelisch ausgeglichen. Sie würde kein depressives Sperma wollen. Oder Sperma, das dauernd nörgelte.
»Ja, es gibt Tiffany’s und K-Mart unter den Samenbanken«, sagte Therese.
»Worin unterscheidet sich die Tiffany’s-Version von der K-Mart-Ausgabe?« fragte Ruth. »Was hat Tiffany’s zu bieten?«
»Für dich kommt K-Mart wohl schon nicht mehr in Frage«, sagte Sonia zu Ruth.
Ruth sah Sonia an. »Du bist seit Jahren nicht mehr Touristenklasse geflogen«, sagte Ruth. »Selbst Business ist dir kaum gut genug. Da werde ich mich ja wohl über Tiffany’s kundig machen dürfen.«
Therese mußte lachen. »Unser Gespräch hat meine Laune schon wieder gehoben«, sagte sie. »Die Tiffany’s-Samenbanken bieten ihren Kunden mehr«, sagte Therese. »Dort kann man die Audiokassette bekommen, das Säuglingsfoto, die Schriftprobe, man erfährt die Lieblingsgerichte und Lieblingsfarben des Samenspenders und die Gründe, aus denen er Samenspender wurde. Manche der Websites haben bergeweise Daten gespeichert. Man kann die ganze Krankengeschichte des Samenspenders erfahren, die seiner Mutter und seines Vaters, man kann erfahren, ob es Alkoholismus in der Familie gibt oder gab. Man kann herausfinden, ob in der Familie des Samenspenders Krebserkrankungen oder Herzprobleme oder genetische Defekte wie Zwergwüchsigkeit oder Farbenblindheit vorkommen.«
»Zwergwüchsigkeit und Farbenblindheit sind nicht ganz dasselbe«, sagte Ruth. »Mir wäre Farbenblindheit lieber; und Ihnen?«
»Ruth, man muß sich nicht für eines von beiden entscheiden«, sagte Sonia.
»Es gibt so schrecklich viele Dinge, für die man sich entscheiden kann«, sagte Therese. »So schrecklich viele Daten. Manchmal hilft mir eine Freundin, die unterschiedlichen Websites zu besuchen. Wir treffen uns zum Abendessen, und danach heißt es: Auf zur Samenbank. Aber es dauert nie lange, und meine Freundin schläft ein. Es sind so schrecklich viele Daten.«
Ruth wußte, was zu viele Daten bedeuteten. Ihr fiel es schon schwer, nach einem Katalog zu bestellen, vom Internet ganz zu schweigen. Wenn sie in Katalogen mit Bürozubehör blätterte, kam sie sich vor wie unter Betäubung. Die schiere Fülle der Produkte und Wahlmöglichkeiten raubte ihr jede Entscheidungsfähigkeit. Sie verbrachte mehr Zeit mit unschlüssigem Brüten über Lochern und Bleistiftanspitzern, als es sie gekostet
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