Chuzpe: Roman (German Edition)
Ruth. »Was ist dann mit dir?«
»Mit mir ist alles in Ordnung hundertprozentig«, sagte Edek. »Mit mir war immer alles in Ordnung. Und mit mir wird sein alles in Ordnung, wenn das Restaurant ist erfolgreich. Und auch, wenn das Restaurant ist weniger erfolgreich.«
Ruth brachte es nicht übers Herz, ihn zu fragen, ob mit ihm auch dann alles in Ordnung sein würde, wenn das Restaurant nach wenigen Wochen zumachen müßte.Zwei Wochen nach dem Kaffeetrinken mit Edek ging Ruth in die Attorney Street. Edek hatte sie gebeten, vorbeizusehen. Die Veränderungen, die stattgefunden hatten, waren beeindruckend. Von dem Bauarbeitermaterial war fast nichts mehr zu sehen. Es gab eine Theke und Regale und Stühle und Tische. Die auf jede Tischplatte aufgemalten »Klops braucht der Mensch«-Signets wirkten fröhlich und exzentrisch. Es sah aus wie in einem Restaurant. Rosagetönte Plexiglasscheiben hingen vor jeder der drei Hauptwände des Restaurants von der Decke. Hinter jeder der rosagetönten Plexiglasscheiben waren Lichtquellen angebracht. Es war die Art indirekter Beleuchtung, die besonders schmeichelhaft wirkte. Das Plexiglas verdeckte die zerbrochenen Ziegelenden und Mörtelreste und Bauholzstümpfe und alten elektrischen Leitungen, die aus den Wänden ragten. Ein Stück farbloses, gewelltes Plexiglas, das aussah, als schwebte es, hing unter der Decke. Am Ende einer alten Theke befand sich eine kleine Bar mit drei Sechziger-Jahre-Barhockern aus rosa Plastik. Alles an der Inneneinrichtung war einladend. Ausstattung und Farben waren so verführerisch. Und so warm und lebendig. Ruth sah sich um. Sie wäre am liebsten sofort eingezogen. Edek, Zofia und Walentyna kamen aus der Küche am hinteren Ende des Restaurants.
»Ich bin völlig hingerissen«, sagte Ruth. »Ich bin einfach hingerissen.«
»Es ist sehr nett, Ruthie, nicht wahr?« sagte Walentyna.
»Es ist bezaubernd«, sagte Ruth.
»Um zu sagen die Wahrheit«, sagte Edek, »ist es nicht ganz genau der Stil, was ich mag, aber Zofia hat gesagt, daß die jungen Leute, was arbeiten in dem Architekturbüro, wissen, was sie tun.«
»Es ist bezaubernd«, sagte Ruth. Sie stand fast unter Schock. Wie konnte ein heruntergekommener und völligunspektakulärer Laden durch ein paar Plexikglasscheiben in etwas so verblüffend Schönes verwandelt werden?
»Zofia, zeig Ruthie die Küche«, sagte Walentyna. Ruth folgte Zofia in die Küche.
Die Küche war klein und hatte einen zwölfflammigen Herd mit zwei großen Backöfen. Ein kleinerer Heißluftherd war an der Wand angebracht. Es gab einen großen Kühlschrank und einen Tiefkühlschrank und eine Gastronomiespülmaschine. Auf einer Arbeitsplatte neben der Spüle mit Abfallzerkleinerer befanden sich ein Fleischwolf und eine Bäckermaschine zum Teigkneten. In der Mitte des Raums standen zwei Edelstahltische. Über den Tischen hingen von Deckenhaken Töpfe und Pfannen und Siebe und Schöpfkellen und Schneebesen und Rührlöffel und andere Gerätschaften. Und eine ganze Wand aus Metallregalen sah aus, als könne sie es kaum erwarten, Zutaten und Gewürze zu beherbergen. Die Edelstahltische hatten den matten Schimmer, die geglättete Patina altgedienten Küchenzubehörs. Nicht wenige der Töpfe und Pfannen waren vom jahrelangen Kochen und Schrubben und Spülen gedellt und zerbeult und zerkratzt. Ruth fand, daß es etwas Ergreifendes hatte, sie alle in neuem Glanz zu erblikken, bereit, ein neues Leben zu beginnen. Kein Zentimeter Platz war in der Küche verschwendet. Das Zubehör war mit der Präzision eines Armaturenbretts in einem Raumschiff ausgesucht, installiert und eingerichtet worden.
»Wer hat diese Küche entworfen? Wer hat festgelegt, was wohin kommt?« fragte Ruth Zofia.
»Ich«, sagte Zofia.
»Woher wußten Sie so gut Bescheid?« fragte Ruth.
»Ruthie, Liebling«, sagte Zofia, »ich koche schon lange. Ich weiß, was wohin gehört. Ich bin neunundsechzig. Ich koche seit meinem zwanzigsten Lebensjahr.«
»Sie sehen nicht aus wie neunundsechzig«, sagte Ruth. »Sie sehen viel, viel jünger aus.« Zofia strahlte.
»Ruthie, Liebling, seit meinem zehnten Lebensjahr schwimme ich jeden Tag. Und Schwimmen ist sehr gut für alles.«
Ruth war überzeugt, daß das Schwimmen einem nicht eine faltenlose Haut und straffe Brüste geben konnte. Wenn es so wäre, würden Frauen auf der ganzen Welt ihr halbes Leben im Wasser verbringen.
»Ich bin neunundsechzig«, sagte Zofia. »Und Walentyna ist siebenundsechzig. Ich glaube, ich war
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