Chuzpe
Geschäfte schließen, und dann konnte er erst wieder am Montag jemanden erreichen. Also sputete er sich besser. Der Karlsplatz lag geradezu gespenstisch vor ihm. Nicht nur, dass keine Straßenbahnen verkehrten, es gab auch keine Automobile zu sehen. Keine Panje- oder Leiterwagen, keine Passanten, nichts. Die ganze Gegend wirkte wie ausgestorben. Verständlich. Wer bei einem solchen Wetter nicht unbedingt auf die Straße musste, der blieb natürlich lieber zu Hause. Jetzt fing es auch noch zu schneien an. Ganz leicht nur, aber eswürde zu Nässe und in der Folge zu Eisbildungen führen. Keine erbauliche Perspektive für den Abend und die Nacht.
Völlig durchgefroren und mittlerweile auch durchnässt erreichte Bronstein die barocke Kirche. Er bog nach links und eilte an zwei wackeligen Altbauten vorbei. Ein großes Schild verhieß ihm in einigen Metern Entfernung das Atelier des Fotografen, der die Feigl und ihren Galan abgelichtet hatte. Der Major streckte seine klammen Finger nach der Türschnalle aus, drückte sie hinunter und trat ein.
„Guten Morgen“, kam es aus einer hinteren Ecke des Etablissements, „was kann ich für Sie tun?“
Bronstein wünschte gleichfalls einen guten Tag, legitimierte sich und hielt dem Mann die Fotografie unter die Nase. „Dieses Bild wurde doch hier aufgenommen, oder?“
Der Mann besah sich das gegenständliche Objekt nur kurz, ehe er nickte: „Ja, Herr Inspektor, das stimmt. Und wenn mich nicht alles täuscht, habe ich das sogar selbst aufgenommen.“
„Sie sind der Fotograf? Ist das Ihr Geschäft hier?“ „Ja.
Ich habe zwar einen Assistenten, der auch Bilder schießt, aber ich bin mir ziemlich sicher, das habe ich gemacht.“
„Können Sie sich an die beiden erinnern?“
„Wer könnte das an meiner Stelle nicht? Wunderhübsches Mädchen. Der Mann allerdings war ein ziemlicher Stutzer. Sehr ungut, wenn Sie mich fragen.“
„Wissen Sie zufällig, wie er heißt?“
„Woher sollte ich?“ Der Fotograf war aufrichtig verwundert.
Bronstein blies Luft aus und starrte kurz an die Decke. „Ich weiß ja nicht, wie das bei Ihnen so läuft. Wie bezahlt man das Ding? Und wann bekommt man es? Muss man da keine Namen angeben oder so?“
„Ah, ich verstehe“, gab sich der Fotograf wissend, „worauf Sie hinauswollen. Da muss ich Sie leider enttäuschen, Herr Inspektor. Man kommt hier einfach herein und sagt, was man will.Foto ist ja nicht gleich Foto. In dem Fall war es sehr einfach. Die beiden wollten einfach eine Erinnerung, ganz konventionell. Ich bat sie also in den hinteren Raum dieses Ateliers, da konnten sie sich den Bildhintergrund und die genaue Pose, die sie einnehmen wollten, aussuchen, und dann habe ich sie abgelichtet. Ich habe den Preis genannt, der Herr da hat ihn bezahlt. Dann entwickle ich die Bilder hinten in meiner Dunkelkammer. Das dauert so seine Zeit. Ich nenne den Kunden also eine bestimmte Uhrzeit, zu der sie ihre Bilder abholen können. Und das tun sie dann auch, zumal sie ja schon bezahlt haben. Das ist alles. Keine Namen, keine Lieferadressen. Tut mir leid.“
Bronstein schluckte seinen Ärger hinunter. Das war ja zu erwarten gewesen. „Das heißt, Sie kennen den Herrn nicht und haben ihn auch später nie mehr gesehen?“, startete er einen letzten Versuch, dessen Scheitern ihm gleichwohl von vornherein bewusst war. „Bedaure, nein“, kam prompt die Antwort.
„Kennen Sie ein Wäschegeschäft Nemec?“, fragte Bronstein schließlich.
„Ja, das ist gleich die Straße rauf. Hinter dem Café Frey werden Sie fündig werden, Herr Inspektor.“
Bronstein packte seine Fotografie wieder ein, dankte dem Mann und verließ den Laden. Und wieder in der Kälte. Der Schneeregen war mehr als widerlich, und umso mehr beeilte sich der Major, sein Ziel zu erreichen. Zwanzig Minuten vor zwölf betrat er die Boutique. Eine blasse, unterernährte junge Frau kam auf das Klingeln der Tür aus dem hinteren Geschäftsbereich nach vorn in den Verkaufsraum, knickste und fragte, womit sie dienen könne.
„Mit einer Auskunft. Ist der Herr Nemec zugegen?“
„Leider nein, der Herr. Aber er müsste jeden Moment kommen. Er macht nach Geschäftsschluss immer die Abrechnung.“
„So. Na ja.“ Bronstein dachte nach, dann fuhr er fort: „Haben Sie Schals? So für Damen?“
„Aber sicher, der Herr. Wir sind ein Geschäft für Damenbekleidung.“ Da Bronstein nichts sagte, setzte die Verkäuferin nach: „Woran hätten Sie denn gedacht, der Herr? Seide vielleicht,
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