Chuzpe
oder …“
„An was Warmes. Seide ist doch nur modischer Tand. Haben Sie nicht etwas, das einen gegen diese hundselendige Kälte schützt?“
„Wolle“, platzte es aus der Verkäuferin, „Wolle ist warm. So gestrickt. Sie wissen schon, der Herr.“
„Nein“, schüttelte Bronstein den Kopf, „das schaut so unvorteilhaft aus. Haben Sie nicht so etwas, wie ich es trage? Nur für Damen halt?“ Dabei hielt Bronstein seinen eigenen Schal in die Höhe.
Die Verkäuferin betrachtete ihn kurz und nickte dann. „Ja, so etwas müssten wir da haben. Einen Augenblick, der Herr.“ Sie verschwand wieder im hinteren Bereich des Geschäfts und kam einige Minuten später mit einer Auswahl an Schals zurück.
Bronstein besah sich die Stücke in aller Ruhe und wählte dann eines aus. Er deutete darauf und sagte: „Der gefällt mir. Wie viel soll der kosten?“
Der Preis schien ihm akzeptabel. „Fein, ich nehme ihn. Packen Sie in mir bitte ein. Es soll ein Geschenk sein.“ Jelka würde sich bei dieser Kälte über diesen Schal sicher sehr freuen, war Bronstein überzeugt. Noch dazu, wo er so feuerrot war. So passte er nicht nur zu ihrer politischen Einstellung, sondern auch noch zu ihrem Haar. Bronstein freute sich. Die Überraschung würde ihm gelingen.
Die Klingel oberhalb der Eingangstür bimmelte erneut. Bronstein drehte sich instinktiv um. Ein gepflegter älterer Herr hatte den Laden betreten. „Herr Nemec, wie ich vermute“, begann Bronstein.
„Zu Diensten. Mit wem habe ich das Vergnügen?“
„Major Bronstein von der Wiener Polizeidirektion. Ich bräuchte ein paar Auskünfte von Ihnen, wenn’s recht ist.“
Nemec blickte kurz auf seine Verkäuferin: „Fräulein Dora, das geht schon in Ordnung, Sie können schon Schluss machen. Ich sperre dann ab.“ Das Fräulein Dora knickste artig, schob Bronstein den ordentlich verpackten Schal über die Budel und nannte ihm nochmals den Betrag, den dieser aber bereits auf die Holzplatte gelegt hatte. Sie nahm das Geld an sich und tat es in die Kassa. Dann verbeugte sie sich vor jedem der beiden Herren einzeln und verabschiedete sich mit den besten Wünschen fürs Wochenende.
„Is scho recht, Fräulein Dora. Bis Montag dann“, schickte ihr Nemec hinterher, ehe er sich wieder Bronstein widmete: „Und womit kann ich Ihnen nun dienen?“
„Sie kennen eine Frau Hannah Feigl?“
Das Gesicht von Nemec erstrahlte: „Aber sicher doch! Das ist meine allerbeste Schneiderin. Die kann alles. Zuschneiden, umändern, sogar eigene Sachen entwerfen und machen. Ich sag Ihnen, Herr Major, die kommt noch einmal ganz groß raus!“
„Ich fürchte, das wird leider nicht mehr der Fall sein“, entgegnete Bronstein mit betrübtem Tonfall, „die Frau Feigl ist nämlich vorgestern ermordet worden.“
Im Gesicht von Nemec zeichnete sich namenloses Entsetzen ab. Er rang nach Luft und dann nach Worten: „Aber … um Gottes Willen! … Wer macht denn … so etwas?“
„Genau das versuche ich herauszufinden, Herr Nemec. Und dazu brauche ich jede Hilfe, die ich bekommen kann. Daher zuerst einmal die Frage: Wie gut kannten Sie die Frau Feigl?“
„So gut, wie man eine enge Mitarbeiterin nun einmal kennen kann. Sie hat sich eines Tages bei mir vorgestellt, weil sie Arbeit suchte. Gleich nachdem sie die Schule abgeschlossen hatte. Das muss, warten S’, das muss im Sommer ’15 g’wesen sein. Siehat mir ein paar Sachen gezeigt, die sie g’macht hat, und ich war sofort begeistert. Das war kein Handwerk mehr, das war schon wahre Kunst. Ich hätte sie auf der Stelle engagiert, aber leider waren die Zeiten damals alles andere als günstig, wie Sie sich vorstellen können, Herr Major. Da war nicht viel los mit Damenmode in dem Grätzel da. Aber ich hab sie unterstützt, so gut ich können hab, hab ihr immer wieder kleinere Aufträge zugeschanzt und so. Sie ist mir direkt ans Herz gewachsen, die kleine Hannah, darum habe ich mich dann auch besonders um sie gekümmert, wie ihre selige Mutter …, na, Sie wissen sicher schon, die Tuberkulose und so. Und obwohl ich es mir eigentlich nicht hab leisten können, habe ich sie dann Anfang des Jahres als zweite Verkäuferin angestellt. Sie war immer Dienstag und Mittwoch da, während das Fräulein Dora Montag und Donnerstag bis Samstag Dienst hat. Viel hab ich ihr natürlich nicht zahlen können, weil mit dem G’schäft ist grad jetzt nicht viel Geld zu machen, aber was in meiner Macht stand, das habe ich getan.“
„Das heißt, am 6. war sie
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