Chuzpe
noch da?“
„Ja, ganz normal. Bis 18 Uhr. Ich bin eine Viertelstunde vor Geschäftsschluss gekommen, wir haben noch gemeinsam die Kassa gemacht und dann abgeschlossen. So um sieben wird das gewesen sein. Ich hab ihr dann noch wie immer ein paar Äpfel zugesteckt – ich hab nämlich einen kleinen Garten in Maria Anzbach, und die Apfelernte war heuer zum Glück sehr gut, deshalb kann ich immer ein paar abgeben. Na, egal. Jedenfalls hat sie sich sehr gefreut, und wir haben uns dann bei der Paulanerkirche getrennt. Sie ist, so glaub ich halt, zu Fuß nach Hause gegangen – sie wohnt ja nicht weit weg von da –, und ich bin noch ins Café Museum gegangen, weil am Mittwoch spiel ich dort immer Schach.“
Für Bronstein war das eine wichtige Information. Die Feigl war also am Mittwoch um sieben Uhr abends noch am Lebengewesen. Das musste man sich merken. „Was, lieber Herr Nemec, wissen Sie über den Umgang der Frau Feigl?“
„Na ja, sie war eine sehr stille Person. Sehr höflich, sehr zuvorkommend, aber irgendwie auch sehr schüchtern. Ich glaube nicht, dass sie viele Freundinnen hatte, zumindest hab ich selten welche gesehen. Und, obwohl das bei einem so hübschen Frauenzimmer in dem Alter nur natürlich gewesen wäre, sie hat auch keine Verehrer gehabt. Zumindest nicht, dass ich das bemerkt hätte. Die hat, glaube ich, gelebt wie eine Nonne. Bis dann dieser komische Eisenbahner aufgetaucht ist, dieser saubere Herr Plachutta. Das ist eine Person, kann ich Ihnen sagen! Der hat dem armen Mädel vollkommen den Kopf verdreht und sie dabei ausg’nommen wie eine Weihnachtsgans. Jeder Heller, den ich ihr gegeben hab, ist sofort in seine Taschen gewandert. Ein unguter Mensch, ich hab den von Anfang an ned mögen. Wie sich der da aufgeführt hat allerweil. Als wär er der Graf Bamsti persönlich.“
„Das heißt, er hat sie immer wieder einmal abgeholt?“
„Ja, eigentlich ziemlich oft. Da ist er dann da im Geschäft dagesessen, als wär er der Inhaber von dem Laden. Einmal habe ich ihn zurechtgewiesen, weil er eine Kunde schikaniert hat. Wissen S’, was er mir da gesagt hat? ,Blas di ned auf, sunst lass i da die Luft aus, Kropferter!‘ Das muss man sich sagen lassen von so einem Hallodri.“
„Aber am Mittwoch hat er sie nicht abgeholt, der Herr Blaha?“
„Plachutta. Ganz sicher Plachutta. Ich hab nämlich einmal seine Papiere gesehen und mir noch gedacht, bitte, der Name passt.“
„Wieso?“
„Na, Plachutta heißt in der Sprache meiner alten Heimat Segel. Und der Kerl hatte so Segelohren, mit denen hätt er abheben können wie ein Aeroplan.“
Na bitte, dachte Bronstein. Jetzt würde die Suche nach dem Galan ein Kinderspiel werden. Der Vor- und der Nachname waren gesichert, das würde die ganze Sache merkbar vereinfachen.
„Also, am Mittwoch war er nicht da, der Herr Plachutta?“
„Nein. Also zumindest am Abend nicht. Aber ich glaube, die Hannah hat mittlerweile selbst gemerkt, dass der kein Guter ist. Sie hat ein paar Mal mit ihm gestritten, wie ich gerade ins Geschäft gekommen bin, und erst am Dienstag hat s’ den ganzen Tag verweinte Augen g’habt. Und wie ich sie gefragt hab, was denn los ist, hat s’ nur g’meint, der Schani – sie hat ihn immer Schani g’nennt, den Plachutta – sei so garstig g’wesen zu ihr, und sie sei sich sicher, dass er sie nebenbei abehaut.“
„Sie meinte, er betrügt sie mit einer anderen?“
„Ja. Aber sie war sich nicht sicher. Jedenfalls war dieses Verhältnis seit Mitte Oktober sehr spannungsgeladen, wenn S’ mich fragen. Sie ist auch, soweit ich das beurteilen kann, wieder in ihre alte Wohnung auf der Margaretenstraße zurückgezogen, nachdem s’ a Zeiterl bei ihm in Favoriten g’wohnt hat.“
„Wissen Sie zufällig, wo das ist in Favoriten?“
„Aber ja. Gleich da oben. Am Columbusplatz. Das Eckhaus zur Laxenburger Straße.“
Das geht ja noch leichter, als man es erwarten durfte, freute sich Bronstein. Der Herr Nemec war ein Zeuge, wie man ihn sich nur wünschen konnte. Bronstein notierte sich geistig die genannte Adresse und richtete dann noch eine Frage an Nemec: „Und kennen Sie den Vater der Frau Feigl auch?“
„Ja. Flüchtig. Armer Kerl eigentlich. Ziemlich primitiv, aber primär zu bedauern, würd ich sagen. Der hat sein Leben lang die Füß nicht auf den Boden gekriegt, und das hat er seine Familie büßen lassen, weshalb er dann erst recht selber hat büßen müssen.“
„Inwiefern?“
„Insofern, als sie ihm abgepascht
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