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Chuzpe

Chuzpe

Titel: Chuzpe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Pittler
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Veverka aus Prag. Na, wenn das kein Wiedersehen ist, dann weiß ich auch nicht. Ich freu mich wirklich, euch hier alle anzutreffen, und das noch dazu wohlbehalten, wie ich feststelle.“
    Irritierend fand Bronstein nur, dass die Männer trotz des an sich freudigen Moments so ernst blieben. Was, so fragte er sich, war da los? Waren sie gekommen, um ihm eine traurige Nachricht zu hinterbringen? War irgendein Frontkamerad, der ihmdamals besonders nahe gestanden war, gefallen? Instinktiv ging er die Liste seiner damaligen Freunde durch, doch es fiel ihm niemand ein, den er in diesem Zimmer vermisste. Schließlich wandte er sich noch dem Rumänen zu, dessen Name ihm partout nicht einfiel. „Du bist der Rumäne“, sagte er endlich, der …“
    „Petru Ciorbea aus Oradea“, half dieser ihm aus der Verlegenheit. „Der Petru, genau“, echote Bronstein, um sodann auch den letzten Mann in den Blick zu nehmen, der ganz außen saß. Ein gedrungener Körper mit fleischigem Gesicht, das von einem dünnen, blonden Haarkranz umrahmt wurde. „Wir kennen uns, glaube ich, nicht, oder?“
    „Jakob Müller aus Simmering. Ich bin erst '16 zur Kompanie gestoßen. Davor war ich bei der Landwehr im Banat.“ Mit Krzeszinsky und Nemeth waren das acht Mann. Wie bei einem Geschworenenprozess, dachte Bronstein noch, ehe er, ungeduldig geworden, nach dem Grund für diese Versammlung fragte. Müller gab Ciorbea einen Wink mit dem Kopf, und dieser stand auf und öffnete eine Luke, die offenbar in einen Keller führte. Bronstein registrierte dabei, wie Nemeth hinter ihn trat und die Tür nach draußen verriegelte. Der Major begann sich unwohl zu fühlen und starrte in das Loch im Boden, aus dem merkwürdige Geräusche drangen. Beinahe war es, als schleppte Ciorbea einen Kartoffelsack nach oben, als sein Kopf schwitzend und keuchend wieder sichtbar wurde. Ein schwerer Gegenstand rutschte polternd über die Sprossen der Leiter, sodass Ciorbea Mühe hatte, ihn nicht aus den Händen gleiten zu lassen. Mittlerweile war er zur Hälfte wieder im Raum, als Bronstein entsetzt den Atem anhielt. Der knallrote Kopf Spitzers, dessen Mund verklebt war und dessen Augen angstgeweitet um Hilfe schrien, wurde sichtbar. Jetzt wusste Bronstein, warum der Mann abgängig war. Seine eigene Kompanie hatte ihn entführt.
    Gajdošik und Veverka setzten sich in Bewegung und halfen Ciorbea, den Generalleutnant aus seinem Verlies zu holen.Achtlos ließen sie ihn schließlich zu Boden fallen, wo er den halbherzigen Versuch unternahm, an seinen Fesseln zu zerren. Doch er sah die Aussichtslosigkeit dieses Unterfangens bald ein und gab es auf. Seine Augen flehten jedoch weiter Bronstein um Hilfe an. Der freilich brachte kein Wort heraus. Er tastete sich langsam zum Tisch und ließ sich auf einem freien Sessel nieder, dabei den Blick nicht von seinem ehemaligen Kommandeur abwendend.
    Müller stand auf und übernahm die Initiative. „Wie du weißt, Kamerad, hat dieses Schwein 300 Mann auf dem Gewissen. Durch seinen wahnsinnigen Befehl sind genau vorgestern vor dreieinhalb Jahren, am 8. Mai 1915, 300 ehrliche und aufrichtige Kameraden gefallen, obwohl von Anfang an klar war, dass dieser Angriff nicht die geringste Chance auf Erfolg hatte. Das Terrain war vollkommen flach und bot keinerlei Deckung, die Gegenseite war bestens mit Maschinengewehren und Scharfschützen ausgerüstet, und trotzdem befahl dieser Unmensch da den Sturmangriff. Ich weiß, du selbst hast ihn nur knapp überlebt, und einige von den Anwesenden hier tragen heute noch an den Folgen dieser Wahnsinnstat. Da wir aber wissen, dass der Staat solche Verbrechen niemals anklagen wird, haben wir uns beraten und beschlossen, die Gerechtigkeit selbst in die Hand zu nehmen. Wir sind acht Mann, acht Geschworene, und wir repräsentieren zufällig auch die acht Nationen der Monarchie, sodass wir ein wahrhaft repräsentatives Gremium abgeben. Und wir haben weiters beschlossen, dass du, der du damals Leutnant warst, als Verteidiger dieses Mannes fungieren sollst, denn uns fiel auch nach langem Nachdenken niemand ein, der für diesen Kerl sprechen würde. Wir sind das Volksgericht, aber wir sind keine Barbaren. Wir werden den Fall eingehend behandeln, und am Ende werden wir acht darüber befinden, welche Strafe dieser Verbrecher verdient hat.“
    Bronstein war zwar immer noch entsetzt, nun war er allerdings auch überrascht. Er hätte einem Simmeringer Soldaten kaum zugetraut, eine derart gerichtstaugliche Rede zu halten.

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