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Chuzpe

Chuzpe

Titel: Chuzpe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Pittler
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begegnet wäre, wenn sich die Dinge anders entwickelt hätten, und so hatteoffenbar auch das Schlechte sein Gutes. Bronstein rauchte eine dritte Zigarette, trank noch einen Rum und zahlte dann.
    Als er sich wieder erhob, befand er, er sei gut in der Zeit, und schritt fröhlich aus. Am Gürtel angekommen, stach ihm schon von Weitem das Hotel Hernalserhof ins Auge, das ihm signalisierte, dass er in seinem Heimatbezirk angekommen war. Seine Wohnung war gleichwohl immer noch zwei bis drei Kilometer entfernt, aber erstmals an diesem Sonntag war er sich sicher, sie auch tatsächlich zu erreichen. Er teilte sich die verbleibende Strecke in mehrere Etappen ein, die Kalvarienbergkirche, die Vorortelinie, der Sportclubplatz, wodurch er sich mit jedem Abschnitt, den er bewältigt hatte, selbst weiter motivierte. Und so, als würdigte auch der Herrgott seinen Fleiß, wurde das Wetter etwas milder. Der markante Brückenbogen der Bahnlinie zog ihn magisch an, und als er diesen hinter sich wusste, beschleunigte er mit einer letzten Energieleistung noch einmal seine Schritte, um schließlich beim Stadion nochmals zu verschnaufen. Keine hundert Meter später war er in der Dornbacher Straße, und er kramte den Schlüssel aus seiner Tasche, um die Wohnungstür öffnen zu können.
    Wie nicht anders zu erwarten, glich seine Behausung einer Eishöhle. Eilig suchte er die letzten verbliebenen Holzscheite zusammen und machte Feuer. Als Nächstes stellte er Tee auf. Während er darauf wartete, dass er das Heißgetränk zu sich nehmen konnte, blickte er sich in seiner Bleibe um, galt es doch abzuwägen, ob irgendwo eine Reinigung nottat. Dabei wurde ihm bewusst, dass ihm diese Wohnung allmählich zu klein wurde. Sie bestand aus einem winzigen Vorzimmer, in dem gerade sein Schuhkästchen und sein Kleiderschrank Platz fanden. Geradeaus ging es in die Küche, die wenig mehr aufwies als eine Spüle, einen Herd und einen kleinen Tisch, dem links und rechts ein Sessel beigesellt war. Rechter Hand befand sich jenes Kabinett, in dem Bronstein zu schlafen pflegte, linkerHand sein Wohnzimmer, das entschieden zu überladen war. Die große Sitzgruppe nahm beinahe ein Drittel des Raumes ein. Am Fenster stand ein Diwan, den er doch nie benützte. Ihm gegenüber hatte Bronstein einen alten Bücherschrank aufgestellt, der noch reichlich Platz für weitere Druckerzeugnisse bot. Und als ob all dies nicht schon der Möbel genug gewesen wäre, gab es direkt unter dem Fenster noch einen runden Tisch, welcher der Bruder von jenem in Jelkas Wohnung hätte sein können. Entweder, so befand Bronstein, er trennte sich von einem Teil der Einrichtung, oder er suchte sich tatsächlich eine neue Bleibe.
    Ganz allgemein vermittelten diese Räume einen ziemlich abgewohnten Eindruck. Überall lagen Zeitungen, Akten und andere Papierstücke herum, und auch mit seinem Geschirr war er nicht so sorgsam umgegangen, wie man dies eigentlich von einem gehobenen Beamten hätte erwarten dürfen. Ja, dachte er mit einem schmerzhaften Lächeln, genau so stellte man sich eine Junggesellenwohnung vor. Nur dass er eben nicht mehr zwanzig und Student war, sondern Mitte dreißig und in angesehener Stellung. Schon öfter hatte er überlegt, sich eine Zugehfrau zu engagieren, doch erschien ihm dies angesichts der Kleinheit seiner Wohnung großtuerisch. Zu so einer Lösung griff man, wenn man ein Domizil im sechsten, siebenten oder achten Bezirk sein Eigen nannte, in dem es einen eigenen Raum für die Putzfrau gab, aber nicht, wenn man ein schäbiges Loch am Rande der Stadt bewohnte. Je länger sich Bronstein in seiner Wohnung aufhielt, umso ungemütlicher fühlte er sich. Er blickte auf die Uhr, es war 16 Uhr vorbei, und draußen begann es zu dämmern. Es wäre besser, wenn er die Zeit bis zum geplanten Wiedersehen mit Jelka irgendwo in der Innenstadt verbrachte, denn hier würde er höchstens melancholisch.
    Bronstein trank den letzten Rest seines Tees aus, stellte die Tasse in die Spüle und zog seinen Mantel wieder an. Er öffnetedie Wohnungstür und trat auf den Gang. Sorgsam sperrte er hinter sich zu, prüfte, ob auch alles in Ordnung war, und begab sich schließlich wieder auf die Straße. Er wandte sich nach links und begann erneut sein Etappendenken. Der Fußballplatz war sein erstes Ziel.
    „Bronstein, bist das du?“
    Irritiert sah der Polizeimajor auf. Wer hatte ihn da angesprochen?
    „Du bist es, gelt?“
    Vor Bronstein stand eine ausgemergelte Figur, mit der er nichts anzufangen

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