Chuzpe
ja, ich red ja. Nur tun Sie dieses Ding von meinem Kopf weg.“
Müller lächelte überlegen: „Also, was hast du zu deiner Verteidigung zu sagen? Warum musstest du unbedingt 320 von unseren Kameraden in den sicheren Tod schicken?“
„Ich bitte Sie, ich habe doch auch nur Befehlen gehorcht. Erinnern Sie sich doch zurück, wie das damals war. Das Oberkommando stand unter enormem Druck, weil wir nirgendwoErfolge zu verzeichnen hatten, ganz im Gegensatz zu den Deutschen, nebenbei bemerkt. Das hat ja schon in Serbien angefangen, wo uns der Serbe über die Donau zurückgetrieben hat im Winter ’14. Und an der Ostfront, bitte schön, da gab es doch nur eine Niederlage nach der anderen. Bis in die Karpaten hat uns der Iwan zurückgedrängt, und da hat es uns gar nichts genützt, dass der Preuße bei Tannenberg-Grünwald gesiegt hat. Der Conrad ist ja schon mit dem Rücken zur Wand gestanden, und er hat ganz genau gewusst, wenn wir bei Tarnow das Ruder nicht herumreißen können, dann können wir Österreicher gleich abmarkieren, dann übernimmt der Hindenburg den Oberbefehl über unsere Armeen. Und … und … und“, Spitzer rang nach Worten, „und dann hat mir der Generalstab die Hölle heiß gemacht. ,Seit Tagen warten wir auf die Vollzugsmeldung‘, haben die gesagt, ,und Sie sitzen immer noch bequem in ihren Stellungen. Wenn der Durchbruch nicht bis zum 9. gelingt, dann wird das persönliche Konsequenzen für Sie haben‘, sagten die zu mir. Degradierung, unehrenhafte Entlassung aus der Armee und möglicherweise ein Verfahren vor dem Kriegsgericht. Was bitte schön, hätte ich also machen sollen?“
„Genau“, knurrte Veverka, „besser, es sterben ein paar hundert Soldaten, als ich muss leben von kleinerer Pension. Du bist eine Kanaille, Spitzer!“
„Aber es war doch eure Pflicht, für das Vaterland …“
„Was erzählst du da von Vaterland, du Hund!“, schrie Lazarenko und sprang von seinem Platz auf. Er rief mit sich überschlagender Stimme einige unzusammenhängende Worte und wechselte dann in seine Muttersprache, wo seine Rede konturierter wurde. Nemeth, Ciorbea, Spitzer und auch Bronstein sahen erst ihn und dann die anderen slawischen Soldaten fragend an. Gajdošik begann zu übersetzen. „Er sagt, Österreich war nie sein Vaterland. Österreich hat seine Heimat … wie sagtman … annektiert, ohne dass sein Volk gefragt worden wäre. Die Russen wären ihre Brüder, und Österreich habe sie gezwungen, gegen ihre eigenen Brüder zu kämpfen. … Österreich, das sei nur Wien, das seien nur die Barone und die Generäle. Er sei niemals Herr im eigenen Haus gewesen, aber jetzt … werde das zum Glück anders. Der Spitzer solle also nicht … von Vaterland reden.“
„Damit hat er völlig recht“, pflichtete ihm Andrinović bei, „Serben, Montenegriner, Kroaten, sie sprechen alle dieselbe Sprache, und doch hat Wien uns zu Feinden machen wollen. Was haben wir gemein mit den Österreichern? Nichts!“
„Da sind wir uns ja wohl völlig einig“, meinte nun auch Veverka, „wir sind alle Angehörige großer Nationen mit einer großartigen Vergangenheit, die nur durch Arglist und Tücke unter das österreichische Joch kamen. Wir hatten das Reich des Samo, das Großmährische Reich, wir hatten die Pˇremysliden, das goldene Prag Karls IV., wir hatten Jirˇi Podebrady und Jan Žižka. All das war lange vor Habsburg.“
„Und wir“, griff Nemeth den Faden auf, „hatten Arpad, wir hatten Andreas den Großen, der den Städten Ungarns zu ungeahnter Blüte verhalf, als in Österreich noch Strauch und Öde herrschte. Wir hatten den Corvinus, und wäre der zweite Lajos nicht gegen die Türken gefallen, wir wären niemals unter Österreichs Herrschaft gekommen.“
„Das ist wahr“, ergänzte nun auch Ciorbea, „wir Rumänen haben dem Türken jahrhundertelang Widerstand geleistet, ohne dass uns Österreich je beigestanden wäre, und erst als diese Gefahr endlich gebannt war, marschierte der Österreicher bei uns ein und zerriss unsere Nation.“
„Na, von uns erst gar nicht zu reden. Wir wurden von Preußen, Russen und Habsburg verraten, schändlich geteilt und von der Landkarte getilgt, allen unseren Leistungen zum Trotz“, erklärte nun auch Krzeszinsky.
„Also erzähl du uns nichts von Vaterland“, resümierte Gajdošik für seine Kameraden, „ihr habt uns immer nur wie Sklaven behandelt, habt jeden unserer Versuche, auch nur ein klein wenig freier zu atmen, in Ozeanen von Blut ertränkt. Es
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