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Chuzpe

Chuzpe

Titel: Chuzpe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Pittler
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Kopfschütteln um: „Ich glaub es nicht! Der Mensch bringt mich noch zum Wahnsinn.“
    „Ich sag’s ja“, wiederholte Nemeth, „jagen wir ihm eine Kugel in den Kopf und fertig.“
    Spitzers Angst verwandelte sich an dieser Stelle in Wut. „Was bildet ihr ungehobelten Lackln euch eigentlich ein?“, schrie er plötzlich, „wisst ihr nicht, wo euer Platz ist? Was ihr euch da anmaßt, ist reine Chuzpe! Eine absolute Frechheit, für die ihr ausgepeitscht gehört. Ihr seid nichts als tumbe Bauern, was wagt ihr es, euch in Dinge hineinzumischen, von denen ihr keine Ahnung habt und niemals haben werdet. Daran sind überhaupt nur diese miesen Sozis schuld, die euch die Köpfe verdreht haben mit ihrem giftigen Geschwafel von der Gleichheit aller Menschen und so einem Unfug. Die gottgewollte Ordnung in Frage stellen, was für eine Dreistigkeit! Ein Bauer ist ein Bauer, und ein Kaiser ist ein Kaiser. So war es immer, und so wird es immer sein. Daran ändert ihr gar nichts! So weit kommt’s noch, dass irgendein Habenichts mitbestimmt, was zu geschehen hat. Lernt erst einmal lesen und schreiben, ihr blödes Pack, dann wagt es noch einmal, euren Mund aufzumachen. So viel kommt nicht auf euch, wie ihr euch da anmaßt, ist euch das klar? Ihr elendes Gesindel gehört in die Kasematten, auf ewig, damit euch diese Dreistigkeit ein für allemal vergeht, ihr Schufte, ihr gottlose Bande von …“
    Spitzer jaulte kurz auf, dann fiel er seitwärts zu Boden. Nemeth war wie eine Raubkatze auf ihn zugesprungen und hatte ihm die Faust ins Gesicht gerammt. „Halt den Mund, du Hund!“, fauchte er, „ihr seid es, die ausgepeitscht gehören. Wir haben die Felder bestellt, wir haben für eure Nahrung gesorgt. Wir haben die Kleider gewebt, die ihr tragt. Wir haben dieKutschen, die Automobile und die Züge gebaut, mit denen ihr über die Lande reist. Wir haben eure Paläste errichtet, wir bedienen euch Tag und Nacht. Ohne uns würdet ihr keinen einzigen Tag überleben, und da wagst du erbärmliche Figur von Chuzpe zu reden? Eure Klasse ist eine einzige Chuzpe. Von Anbeginn an! Allein schon dass ihr existiert ist eine Provokation. Und genau darum hat euch jetzt die letzte Stunde geschlagen. Wie die Maden im Speck habt ihr gehaust, habt euch gefräßig alles unter den Nagel gerissen, was wir im Schweiße unseres Angesichts geschaffen haben. Ihr habt eure Domänen mit jeder Generation noch prunkvoller ausgestalten lassen, während wir im Dreck vor uns hinvegetieren mussten. Unsere Frauen gebärten rittlings auf dem Felde, während ihr Redouten abhieltet, um deren Kosten hundert Bauern ein Jahr in Saus und Braus hätten leben können. Nein, nein, komm du mir nicht mit Chuzpe, du Schwein. Damit ist es jetzt vorbei! Hier und jetzt gilt dein Gesetz nicht mehr, genauso wenig wie dein verfluchter Befehl! Wir sind deine Richter, und als solche sagen wir dir, dass du schon seit Jahrhunderten reif für den Streich bist. Du und deinesgleichen, ihr seid alle reif, dass man euch umlegt als Quittung für die Knechtschaft der Armen im Reich. Niemals in der Geschichte hat Erbarmen euer Herz bewegt, wenn wir dank Elend und Not vor der Zeit hinfaulen mussten. Im Gegenteil, mit Steuern habt ihr noch ärger von uns geraubt, und wer von uns überlebte, der wurde zu den Soldaten gepresst. Gott, der Herr, war weit, und seine Pfaffen beteten lieber den Wein an, wenn sie nicht hinter unseren Frauen her waren. Von all dem haben wir nun endlich genug. Jetzt wird abgerechnet. Ein für alle Mal! Du bist schon tot, Spitzer, du weißt es nur noch nicht. Aber in meinen Augen bist du nichts anderes mehr als ein Kopf, der unter dem Fallbeil liegt.“
    Bronstein kam aus dem Staunen nicht heraus. Hatte ihn schon Müllers Rede beeindruckt, so war dieser Ausbruch desbärtigen Ungarn beinahe bühnenreif gewesen. Ein Wort hätte genügt, und er, Bronstein, hätte mit Feuereifer „Crucifige!“ gerufen. Er würde, so beschloss er für sich, nie mehr abfällig über die unteren Chargen sprechen, denn eben war er Zeuge geworden, welche Talente in ihnen schlummerten.
    Erst in der allgemeinen Zustimmung der Männer wurde ihm allmählich bewusst, dass man mittlerweile Spitzer Taten zur Last legte, von denen er zweifelsfrei profitiert hatte, für die er aber nicht verantwortlich war. So ungerecht und verlogen das herrschende System auch immer sein mochte, Spitzer hatte es nicht geschaffen. Und Bronstein fand, er war es seiner Stellung als Beamter schuldig, auf diesen Punkt hinzuweisen.

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