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Chuzpe

Chuzpe

Titel: Chuzpe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Pittler
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wahrlich genug geflossen.“
    „Wir sind keine hirnlosen Idioten, die ins Nichts der Geschichte geschleudert wurden“, rief nun Müller, „wir haben es in der Hand, Geschichte zu machen …“
    „Und gerade deshalb sollten wir es anders machen als die Spitzers“, fiel ihm Andrinović ins Wort. „Der Mann da ist doch ohnehin erledigt. Er wird nie wieder die Füße auf den Boden bekommen. Die paar Jahre, die ihm noch bleiben, wird er von einer kleinen Rente leben, die er in irgendeinem Wirtshaus versaufen wird, wo er davon träumen wird, wer er angeblich einmal war. Es stimmt also, der Spitzer ist schon tot.“
    Bronstein spürte, dass er zum entscheidenden Punkt der Angelegenheit vorgedrungen war. Wenn er verhindern wollte, dass Spitzer gelyncht wurde, dann war jetzt der Augenblick gekommen, die ganze Sache zu beenden. „Wir haben“, sagte er, „hier nun wirklich eine gute Weile in aller Ausführlichkeit erörtert, wie wir zu dieser Frage stehen. Ich denke, es ist an der Zeit, dass wir darüber abstimmen, was mit Spitzer geschehen soll.“
    „Was steht denn jetzt überhaupt zur Auswahl?“, wollte Ciorbea wissen.
    „Wenn wir es besser machen wollen als er, dann lassen wir ihn laufen“, beeilte sich Bronstein mit einer Erläuterung, um zu verhindern, dass ihm Müller zuvorkam.
    „Aber dann wird er uns an die Behörden verpfeifen, und an seiner statt wandern wir in den Häfen“, gab Nemeth zu bedenken.
    „Ihr vergesst, dass ich Polizist bin“, lächelte Bronstein, „wenn dieser Kerl ernsthaft glauben sollte, uns wegen dieser Nacht etwas anhängen zu können, dann finde ich Mittel und Wege, ihn zurechtzustutzen.“
    „Ich bin müde“, ließ sich Lazarenko vernehmen, „stimmen wir ab in Gottes Namen, damit diese Geschichte ein Ende hat.“
    „Gut“, griff Bronstein den Einwurf auf, „ich schlage vor, wir stimmen zunächst darüber ab, ob wir ihn laufen lassen. Wenndieser Vorschlag keine Mehrheit finden sollte, dann müssen wir halt beraten, wie es weitergehen soll.“ Bronstein sah, wie Müller zu einer Erwiderung ansetzte, und so fügte er eilig hinzu: „Wer also dafür ist, sich an diesem Saukerl nicht die Hände schmutzig zu machen, Hand hoch.“
    Er zeigte auf und Veverka, Gajdošik, Andrinović und Lazarenko taten es ihm gleich. „Wer ist dagegen?“, fragte er.
    Müller und Nemeth zeigten auf.
    „Was ist mit euch?“, fragte er den Rumänen und den Polen.
    „Wir enthalten uns“, sagten sie aus einer Kehle.
    „Fünf zu zwei ist, denke ich eine eindeutige Angelegenheit. Wie seht ihr das?“
    Nemeth stimmte ihm zähneknirschend zu. Müller saß da und funkelte Bronstein böse an, doch er schwieg.
    „Nun gut. Da es keine Einwände gibt, werde ich diesen Lumpenhund an die Frischluft befördern. Ihr wisst alle, wo ich wohne, und ich sage euch, ich würde mich sehr freuen, wenn wir uns bald einmal wieder sehen könnten, wenn auch unter erfreulicheren Umständen als den heutigen. Schon jetzt sage ich euch, die erste Runde geht auf mich. Für heute aber wünsche ich euch eine gute Nacht. Kommt gut heim und passt auf euch auf.“

V.
Montag, 11. November 1918
    Als Bronstein Spitzer aus dem Raum ins Freie schleppte, war es bereits heller Tag. Körniger Regen fiel vom Himmel, der sich nicht dazu durchringen konnte, zu Schnee zu werden. Spitzer stand die Todesangst noch ins Gesicht geschrieben, und sein Körper bewegte sich schwerfällig von der Hütte weg.
    „Ohne Sie hätten die mich gemordet“, stammelte er.
    „Verdient hätten Sie’s“, gab Bronstein kalt zurück.
    Spitzer sah den Major mit melancholischem Blick an: „Ich weiß, dass Sie mich genauso wenig mögen wie die da drinnen. Und trotzdem haben Sie mich gerettet. Warum?“
    „Weil ich nicht so ein Tier bin wie Sie.“ In Bronstein kam Wut hoch: „Pass ganz genau auf, was ich dir jetzt sage.“ Bronsteins Stimme klang schneidend und bedrohlich. „Du wirst über diese ganze Sache kein Wort verlieren. Wenn du zu Hause angekommen bist, wirst du deiner Frau sagen, du hättest die ganze Zeit mit dem Schretter gesoffen. Es wäre einfach über dich gekommen, weil …, was weiß ich, lass dir etwas einfallen. … Weil die Monarchie am Ende ist, weil dir der Lebenssinn abhanden gekommen ist, weil der Kaiser, dem du gedient hast, abdanken muss, irgendetwas, wo deine Frau keinen Verdacht schöpft. Denn“, und dabei hob Bronstein drohend den Zeigefinger, „wenn du auch nur eine einzige Silbe über das, was hier vorgefallen ist, verlauten

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