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Chuzpe

Chuzpe

Titel: Chuzpe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Pittler
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erhellten sich. Er war auf der richtigen Fährte. Und sein Verdacht war auch eben bestätigt worden. Die Feigl war tatsächlich mit ihrem Märchenprinzen hier gewesen. „Wie sah der genau aus?“
    Der Mann sah an Bronstein vorbei in die Ferne und schien vor dem geistigen Auge nach einem Bild zu suchen. „Einen Schnurrbart hat er g’habt“, begann er schließlich, „so einen hochgezwirbelten, wie ihn der zweite Wilhelm drüben in Deutschland hat. Und eigentlich ziemlich lange Haare, wie so ein Bohemien, so ein Künstler, wissen S’. Und die Schale, die er ang’habt hat, die war ganz sicher ned billig. Mir sind die Manschettenknöpf’ aufg’fallen, so richtige Brüller, mit so einem Wappen oder so was drauf. Aber g’red’t hat er wie ein Fuhrwerker. Zumindest mir gegenüber. Der Dame ist das aber nicht aufg’fallen, die war so mit’m Anhimmeln beschäftigt, die hat ka Zeit g’habt, dass s’ des g’merkt hätt.“
    Bronstein nickte. „Und ist Ihnen dieser Mann früher schon einmal aufgefallen?“
    Ohne zu überlegen, schüttelte der Mann den Kopf: „Sicher ned, der war vorher noch nie da. Weil so einer, glauben S’ ma, der wär ma aufg’fallen, den hätt i ma g’merkt. Kan Kreuzer Trinkgeld, wenn S’ verstehen, was ich mein’.“
    Bronstein verstand, was der Kellner meinte. Doch diese Erkenntnis konnte seine Laune nicht heben, denn auch wenn er nun wusste, dass die Feigl am Abend vor ihrer Ermordung mit einem unbekannten Herrn in diesem Lokal gewesen war, so hatte er dennoch nicht den geringsten Anhaltspunkt, wo er diesen Herrn finden konnte.
    „Können Sie sich noch erinnern, wann die beiden gegangen sind?“
    „Ja, sicher, weil die zwei haben als Einzige die Sperrstund überzogen. Zuerst hat er noch so getan, als tät sich des für mich lohnen. Aber Essig, wie g’sagt. Kurz vor Mitternacht hab ich s’ dann hinauskomplimentiert, weil wenn jemand von eurem Verein gekommen wär, dann hätt ich die Scherereien gekriegt und nicht die zwei. Sie sind dann da bei der Tür raus und nach rechts abgebogen.“
    „Nach rechts? Sind Sie sicher?“
    „Ja sicher bin ich sicher. Wieso?“
    Diese Information war möglicherweise höchst interessant. Wären die beiden in Richtung der Feigl’schen Wohnung unterwegs gewesen, hätten sie nach links abbiegen müssen. Ging man allerdings nach rechts, dann kam man nach etwa 400 Metern zum Fundort der Leiche. „Herr Johann“, sagte Bronstein aufgeräumt, „Sie haben mir sehr geholfen. Sollte uns jemand unterkommen, auf den Ihre Beschreibung passt, werden wir uns erlauben, uns wieder an Sie zu wenden.“
    „Ja gern. Wenn man behilflich sein kann“, meinte der Kellner mit einem höflichen Lächeln.
    „Sehr gut. Das wär’s dann fürs Erste. Was bin ich schuldig?“
    Der zweite Kellner nannte ihm die betreffende Summe, die Bronstein umgehend beglich, wobei er darauf achtete, großzügig Trinkgeld hinzuzufügen, denn er wollte nicht wie Feigls Galan als Geizhals dastehen. Er konstatierte, dass es spät geworden war, und beschloss, sich in seine eigene Wohnung zu begeben, um erstmals seit Tagen wieder zu Hause zu schlafen.
    Vor der Station der Stadtbahn stieß er auf Zeitungsjungen, die ihre Ware anpriesen. „Außenminister Adler gestorben“, rief einer, und sofort wurde Bronstein neugierig. Adler war gerade einmal 66 Jahre alt, da starb man in der Regel nicht einfach so. War er einem Attentat zum Opfer gefallen? Bronstein winkte den Knaben zu sich und erwarb ein Exemplar der „Abendpost“. Darin befand sich eine eingehende Würdigung des Mannes, der drei Jahrzehnte der Sozialdemokratie vorgestanden war. Nein, der Mann war in einem Sanatorium verschieden, hieß es in dem Artikel, der sodann Adlers Verdienste aufzählte. Als Vertreter seiner Partei habe er auf allen internationalen sozialistischen Kongressen fungiert und war Mitglied des Internationalen Sozialistischen Büros gewesen. 1905 sei er in den niederösterreichischen Landtag und wenig später ins Abgeordnetenhausgewählt worden, wo er, wie sich das Blatt ausdrückte, „als temperamentvoller und sachkundiger Redner an allen Debatten von Wichtigkeit“ teilgenommen habe. „Auch außerhalb der Partei genoss er wegen der Redlichkeit seiner Gesinnung, für die er große Opfer gebracht hatte, großes Ansehen.“ Bronstein musste schmunzeln. Solange man lebte, wurde man von allen angefeindet, ja nachgerade verleumdet, doch kaum war man verschieden, flocht einem die ganze Welt Kränze. Bemerkenswert war

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