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Chuzpe

Chuzpe

Titel: Chuzpe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Pittler
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Uhr, die über der Schank angebracht war. Was, so fragte er sich, ließ sich mit dieser Wartezeit anfangen? „Gut“, meinte er endlich, „dann warte ich. Bringen Sie mir derweilen ein Bier. Und, sagen S’, gibt’s etwas zu essen auch?“
    „Einen Erdäpfelschmarrn können S’ haben. Mit Köch.“
    Kohlgemüse war nun normalerweise seine Sache nicht, aber in Zeiten wie diesen durfte man wohl nicht wählerisch sein. Er bestellte eine Portion und ließ sich sodann auf einem der Tische nieder. Während er auf das Essen wartete, überkam ihn die Lust auf etwas Lektüre, und er sah sich in dem Lokal um. Tatsächlich standen in einer Ecke ein paar alte Bücher, und er erhob sich von neuem, um an das Regal heranzutreten. Ein paarbillige Volksausgaben deutscher Klassiker staubten dort vor sich hin, ergänzt um einige Anzengrubers und Grillparzers, Letztere in Form der neuerdings so populären Reclam-Hefte. „Libussa“, entzifferte er den Titel eines Bandes und dachte kurz darüber nach, worum es in diesem Werk ging. Richtig, sagte er sich, Libussa war diese sagenhafte Gründerin der Stadt Prag. Nun, das fiel nun auch schon unter Außenpolitik, kam es ihm bitter in den Sinn. „König Ottokars Glück und Ende“ stand gleichfalls hier. Unwillkürlich spannte Bronstein einen Bogen von Ottokar zu Karl. Ein Stück über den hätte wohl den schlichten Titel „Ende“ zu tragen, mehr war über diesen Unglücksraben eigentlich nicht zu sagen. Bronstein versank in Grübeleien. Der Mann in Schönbrunn war rund vier Jahre jünger als er selbst, und er hatte sein Leben praktisch schon hinter sich. Karl war überhaupt eine extrem ephemere Figur gewesen, im Nachhinein betrachtet. Als er 1887 in Persenbeug zur Welt kam, hätte kein Mensch angenommen, dass dieser blasse Jüngling jemals auf irgendeinem Thron sitzen würde. Bloß ein weiterer Erzherzog, der mehr oder weniger unauffällig in der Armee dienen und dann irgendwo in der Provinz höhere Verwaltungsaufgaben übernehmen würde. Im besten Falle wäre er in späteren Jahren Herrenhausmitglied geworden, wo er langweiligen Debatten langweiliger Schnösel gefolgt wäre, um ab und zu die Interessen des Erzhauses darzulegen. Dass ausgerechnet er die Kronen des alten Herrschers erbte, war wohl ein besonders zynischer Scherz der Geschichte gewesen, und die Folgen dieses Streichs mussten nun alle Völker des Vielvölkerstaats ausbaden. Da war der Prˇemyslide schon aus ganz anderem Holz geschnitzt gewesen. Rund zwei Jahrzehnte war er von Erfolg zu Erfolg geeilt, hatte auf dem Höhepunkt seiner Macht ein Reich regiert, das von der Ostsee bis zur Adria reichte, um dann eher ruhmlos den Intrigen seiner zahllosen Feinde zum Opfer zu fallen. Die Habsburger gefielen sich in genau dieser Pose, aber jedermannwusste, dass dieses Bild nichts als eitle Selbsttäuschung war. In Wirklichkeit hatte die Monarchie dieses Hauses jahrhundertelang weit mehr Glück gehabt als jedes andere Geschlecht in der Geschichte. Nun aber war das Glück der Habsburger endgültig aufgebraucht. Felix Austria war Geschichte.
    Wenigstens wusste er, Bronstein, was er in allernächster Zukunft machen würde. Der Kellner brachte den Teller mit dem Erdäpfelschmarrn an seinen Tisch. Bronstein legte das Buch, in dem er so gedankenverloren geblättert hatte, zurück und begab sich zu seinem Essen. Er aß langsam und mit Bedacht, um die Zeit bis zum Eintreffen des besagten Schani so gut wie möglich zu überbrücken.
    Das Mahl hatte eigentlich gar nicht gemundet, aber es hatte wenigstens den Magen gefüllt. Zudem war das Bier in Ordnung, und so orderte er durch Hochheben des leeren Glases ein zweites Krügel, während er sich eine Zigarette anzündete. Der Kellner hatte die Bestellung eben geliefert, als die Tür aufging und ein Mann von knapp fünfzig Jahren eintrat. „Servus, Schani“, begrüßte ihn sein Kollege, „da wart’ jemand auf dich.“
    Neugierig musterte Schani den Major und fragte dann nach dessen Begehr. „Sind S’ doch so gut und setzen sich kurz her zu mir“, begann Bronstein, „ich bräuchte eine Auskunft von Ihnen.“ Bronstein schlug das Album auf, deutete mit dem Zeigefinger auf die Feigl und fragte: „Kennen Sie diese Frau?“
    Der Mann studierte das Bild lange und eindringlich, dann begann er zögernd zu nicken. „Ich denke schon. Die war vorige Woche ein paar Mal da. Mit so einem windigen Gigolo. Der hat auf großer Mann g’macht, aber total mickriges Trinkgeld gegeben.“
    Bronsteins Züge

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