Chuzpe
putzte Pokorny an seiner Schreibtischplatte herum. „Das hätt ich … jetzt … aber nicht vermutet“, sagte er endlich.
„Wenn es dich tröstet, ich auch nicht. Es war reiner Zufall, dass er mir über den Weg gelaufen ist, sonst würden wir ihn immer noch suchen. Aber seien wir froh, dass diese Sache so glimpflich abgelaufen ist, denn wir haben immer noch den Fall Feigl am Hals, und da fehlt uns immer noch jeder Anhaltspunkt. Weder der Vater noch der Brotherr der Feigl kommtfür mich als Täter in Frage, und der G’schamsterer hat wahrscheinlich ein hieb- und stichfestes Alibi. Das ist keine von den Geschichten, wo man praktisch schon am Tatort weiß, wer’s war. Ich fürchte, wir müssen da ganz von vorne anfangen und dabei völlig umdenken. Entweder es gibt noch eine Person im Umfeld der Feigl, die wir bislang übersehen haben, oder wir müssen uns von ihr als Zentrum des Falls wegbewegen.“
„Was meinst du damit, Major?“
„Nun ja, wenn wir die Sache nicht vom Opfer her aufrollen können, dann gelingt es uns vielleicht, indem wir sie vom Tatort her aufrollen. Möglicherweise hat die Tat weniger mit ihr zu tun als mit der Tapeziererei.“
„Meinst du? Das klingt für mich aber wenig plausibel.“
Bronstein musste schmunzeln. Dieser Satz kam aus dem Mund eines Mannes, der noch vor fünf Minuten ernsthaft behauptet hatte, der alte Spitzer sei auf dem Weg nach Amerika.
„Na ja, eventuell galt die Tat ursprünglich gar nicht ihr“, überlegte Bronstein weiter, „vielleicht war sie nur zur Unzeit am falschen Ort und hat etwas gesehen, was sie nicht sehen sollte. Eine krumme Tour, deren Zeugin sie wurde.“
„Eine krumme Tour? Bei einem Polsterer? Was soll das sein? Geschmuggelte Häkeldeckchen?“
Bronstein fluchte innerlich. Pokorny hatte recht. Diese Theorie klang so plausibel wie die Amerika-Geschichte. In einer Tapeziererei gab es nichts, das einen solchen Aufwand lohnte. Im schlimmsten Fall kam es dort zu Schwarzarbeit, und dafür beging man keinen Mord. Es musste also noch eine andere Möglichkeit geben. Bronstein dachte nach. Warum hatte die Feigl ihrem Liebhaber den Laufpass gegeben? Vielleicht war da noch ein Mann im Spiel? Den musste man finden. Fragte sich nur, wo und wie. Er versuchte sich daran zu erinnern, wie das mit der Aussage des Plachutta genau gewesen war. Er hatte sich nach dem Streit zu seiner reschen Resi begeben, aber nochwusste man nicht, wohin die Feigl selbst gegangen war. Er musste noch einmal die zweite Angestellte des Nemec vernehmen, diese Dora. Vielleicht wusste die etwas.
Bronstein blickte auf die Uhr. „Weißt was“, sagte er dann zu Pokorny, „der Bericht kann warten. Ich geh noch einmal zum Nemec und schau, ob ich etwas aus dieser Dora herausbekomm. Morgen bin ich übrigens auch nicht da. Mich haben s’ abkommandiert zum Parlament wegen dem politischen Schabernack, den sie dort morgen treiben. Am besten, du hältst da bis vier die Stellung und passt auf, dass wir nicht noch einen Mord am Hals haben. Wir sehen uns dann am Mittwoch. Servus.“
So schnell, wie er diese Sätze gesagt hatte, war er auch wieder auf den Beinen. Ohne irgendeine Reaktion von Pokorny abzuwarten, verließ er das Büro und ging zur Straßenbahnhaltestelle. Er fuhr bis zur Oper, dort wechselte er die Linie und gelangte so bis zur Paulanerkirche. Den Rest des Weges legte er zu Fuß zurück.
Er betrat das Geschäft, und zu seiner Erleichterung stand das Fräulein Dora hinter dem Ladentisch. Er hatte den Weg also nicht umsonst gemacht. Sie erkannte ihn gleich wieder und lächelte: „Herr Major, womit kann ich dienen? Wieder mit einem Schal?“
„Nein, diesmal mit einer Auskunft. Aber danke für die Idee mit dem Schal, er ist sehr gut angekommen.“
„Das freut mich zu hören. Und was wollen Sie wissen?“
„Es geht, wie Sie sich vorstellen können, um die Hannah Feigl. Ich tappe da immer noch völlig im Dunkeln. Was ich weiß, ist, dass sie mit diesem Plachutta liiert war, und dass die beiden sich am Mittwoch, bevor sie umgebracht worden ist, gestritten haben. Angeblich, weil er … also, weil sie … seine Vorlieben …“
„Weil er ein Saubartel war und sie ihn nicht bei der Hintertür reinlassen wollt?“
Fräulein Doras Offenheit irritierte ihn. „Äh, ja, so könnt man sagen.“
Die Dora zuckte mit den Schultern. „Das ist schon richtig. Aber das ist nur eine Seite der Wahrheit.“
„So?“ Bronstein beugte sich nach vor und sah die Frau erwartungsvoll an. Deren
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