CIA: Die ganze Geschichte (German Edition)
kubanische Gewässer einzudringen. Ihr Auftrag lautete, sowjetische Schiffe mit Seeminen in den kubanischen Häfen in die Luft zu sprengen, drei Abschussrampen für Boden-Luft-Raketen mit Maschinengewehren und Mörsern anzugreifen und sich soweit womöglich um die Abschussvorrichtungen der Atomraketen zu kümmern. Die Kennedy-Brüder waren richtig in Fahrt. Die CIA war ihr Mordinstrument.
Der Präsident verließ die Besprechung, bevor über zwei alternative Militäroptionen entschieden war: ein heimlicher Angriff auf Kuba oder eine Invasion mit allem, was dazugehört. Seine abschließenden Worte betrafen McCone, den er am nächsten Morgen sprechen wollte; dann verabschiedete er sich auf eine Wahlkampfreise nach Connecticut. General Carter, McNamara, Bundy und noch einige andere blieben im Raum zurück.
Marshall Carter, der stellvertretende Direktor der Geheimdienstabteilung, war ein Mann von damals 61 Jahren, klein von Gestalt, untersetzt, kahlköpfig und ausgestattet mit einer scharfen Zunge. Er war unter Eisenhower Stabschef von NORAD gewesen, dem Nordamerikanischen Luftabwehrkommando. Er kannte die Atomwaffenstrategien der Vereinigten Staaten. Nachdem nun der Präsident den Raum verlassen hatte, gab er seinen schwärzesten Befürchtungen Ausdruck. »Wenn Sie da mit einem Überraschungsangriff reingehen und alle Raketenstellungen ausschalten«, sagte er, »dann ist das nicht das Ende , dann ist das erst der Anfang .« Es wäre der erste Tag des Dritten Weltkriegs.
»Der Kurs, zu dem ich geraten hatte«
Am nächsten Tag, Mittwoch, den 17.Oktober, setzten sich McCone und Präsident Kennedy um 9 Uhr 30 zu der angesetzten Besprechung zusammen. »Der Präsident scheint willens, wenn überhaupt, unverzüglich zu handeln, ohne jede Vorwarnung«, vermerkt McCone in seinen protokollähnlichen Tagebuchnotizen. Kennedy bat McCone, nach Gettysburg in Pennsylvania zu fahren, um Dwight D. Eisenhower vom Stand der Dinge in Kenntnis zu setzen. McCone traf gegen Mittag mit den U-2-Aufnahmen der Mittelstreckenraketen im Gepäck dort ein. »Eisenhower schien einer Militäraktion zuzuneigen (ohne sie allerdings direkt zu empfehlen), durch die Havanna abgeschnitten würde und somit das Herz der Regierung in amerikanischer Hand wäre«, schreibt McCone.
Er fuhr zurück nach Washington und bemühte sich, seine Gedanken zu ordnen. Er war müde. In weniger als 48 Stunden war er zur Westküste und wieder zurückgefahren. Die sechs einzeilig beschriebenen Seiten seiner Notizen, die er an diesem Nachmittag zusammentrug, wurden erst 2003 freigegeben. In ihnen spiegelt sich die Suche nach einem Weg wider, die auf Kuba stationierten Raketen loszuwerden, ohne in einen Atomkrieg hineinzustolpern.
Aufgrund seiner Ausbildung zum Schiffsbaumeister verstand McCone durchaus etwas von der militärischen, politischen und wirtschaftlichen Bedeutung von Schiffen auf See. Seine Notizen beinhalteten daher auch einige Überlegungen zur Verhängung einer »totalen Seeblockade« um Kuba, also einer »Unterbrechung des eingehenden Schiffsverkehrs«, verbunden mit einer Angriffsdrohung. Anschließende Besprechungen mit Robert Kennedy, McNamara, Rusk und Bundy, die beinahe bis Mitternacht andauerten, gaben McCone Gelegenheit, seine Strategie einer Blockade Kubas weiter auszuführen. Aus seinen Notizen geht hervor, dass seine Vorstellungen nicht den ungeteilten Beifall der Top-Berater des Präsidenten fanden.
Am 18.Oktober um 11 Uhr begaben sich McCone und Art Lundahl mit neuen U-2-Fotos ins Weiße Haus. Auf ihnen war eine weitere Serie größerer Raketen zu sehen, von denen jede eine Reichweite von mehr als 3500 km besaß und damit, mit Ausnahme von Seattle, jede Großstadt in den Vereinigten Staaten treffen konnte. McCone teilte mit, dass die Raketenbasen von sowjetischem Militärpersonal befehligt würden. McNamara gab zu bedenken, dass ein Überraschungsangriff mehrere hundert Sowjetsoldaten das Leben kosten würde. Ein Angriff auf sie wäre als Kriegshandlung gegen Moskau zu verstehen, nicht gegen Havanna. Daraufhin äußerte sich der Staatssekretär im Außenministerium George Ball im gleichen Sinne wie zwei Abende zuvor Marshall Carter von der CIA: »Wenn wir einen Kurs einschlagen, bei dem wir ohne Vorwarnung zuschlagen, dann ist das ein Handeln wie bei Pearl Harbor.«
Der Präsident erklärte: »Die eigentliche Frage lautet: Mit welchen Aktionen unsererseits verringert sich die Aussicht auf einen nuklearen Schlagabtausch, der ja zweifellos der
Weitere Kostenlose Bücher