CIA: Die ganze Geschichte (German Edition)
zumindest – einen Ausweg vorschlug. Falls die Amerikaner das Versprechen abgäben, von einer Invasion Kubas abzusehen, würden die Sowjets die Raketen abziehen.
Am Samstag, den 27.Oktober, begann McCone die 10-Uhr-Sitzung im Weißen Haus mit der bitteren Neuigkeit, dass die Raketen innerhalb von nunmehr sechs Stunden abgeschossen werden könnten. Kaum hatte er seinen Vortrag zu Ende gebracht, da verlas Präsident Kennedy ein Bulletin mit Moskauer Datumszeile, das aus dem Fernschreiber von Associated Press herausgerissen worden war: »Ministerpräsident Chruschtschow hat Präsident Kennedy gestern mitgeteilt, er werde die Offensivwaffen von Kuba abziehen, wenn die Vereinigten Staaten ihre Raketen in der Türkei abbauen.« Die Sitzung steigerte sich zu einem Tumult.
Zunächst wollte niemand außer dem Präsidenten und McCone diese Geschichte glauben. »Wir sollten uns nichts vormachen«, meinte Kennedy, »die haben da einen sehr guten Vorschlag.«
Auch McCone war dieser Ansicht: ein präziser und ernsthafter Vorschlag, den man nicht einfach übergehen konnte. Die Diskussion, wie man auf diese Offerte antworten solle, zog sich den ganzen Tag hin, nur unterbrochen von Augenblicken des Entsetzens. Zuerst war eine U-2 vom Kurs abgekommen und vor der Küste Alaskas in sowjetischen Luftraum geraten. Infolgedessen waren prompt sowjetische Abfangjäger aufgestiegen. Dann teilte gegen 18 Uhr McNamara plötzlich mit, eine weitere U-2 sei über Kuba abgeschossen worden, wobei der Luftwaffen-Major Rudolf Anderson zu Tode gekommen sei.
Danach plädierten die Vereinigten Stabschefs nachdrücklich für einen umfassenden Angriff auf Kuba, der innerhalb von 36 Stunden beginnen könne. Gegen 18 Uhr 30 verließ der Präsident den Raum, und sofort wurde die Diskussion weniger förmlich und unverblümter.
»Der Plan der Militärs bedeutet im Grunde Invasion«, meldete sich McNamara zu Wort. » Wenn wir Kuba angreifen, dann müssen wir umgehend selbst einen Angriff führen, und zwar einen Großangriff «, führte er weiter aus. »Es ist nahezu sicher , dass das zu einer Invasion führt.« Oder zu einem Atomkrieg, grummelte Bundy. »Die Sowjetunion könnte , und ich denke sie wird es wahrscheinlich auch, die Türkei angreifen«, fuhr McNamara fort. Dann wären die Vereinigten Staaten gezwungen, sowjetische Schiffe oder Stützpunkte im Schwarzen Meer anzugreifen.
»Und ich würde sagen, das ist dann verdammt gefährlich «, meinte der Verteidigungsminister. »Ich bin aber keineswegs sicher, ob wir irgendetwas dergleichen verhindern können, falls wir Kuba angreifen. Ich meine aber, wir sollten alle Anstrengungen unternehmen, es zu vermeiden. Und eine Möglichkeit, dies zu tun, besteht in der Entschärfung der Raketen in der Türkei, bevor wir Kuba angreifen«, schloss McNamara.
»Ich verstehe nicht«, platzte McCone los, »warum Sie dann auf den Handel nicht eingehen!« Die Situation kippte.
Andere Stimmen wurden laut: Auf den Handel eingehen! Sofort auf den Handel eingehen! McCones Ärger wuchs, und er fuhr fort: »Wir haben hierüber gesprochen, und wir könnten sagen, wir wären überaus froh , die Raketen in der Türkei gegen die Sache da in Kuba einzutauschen.« Er beharrte auf seinem Argument. »Ich würde diese Dinger da in der Türkei auf der Stelle eintauschen. Ich würde nicht einmal mit irgendjemandem darüber reden. Wir haben hier eine Woche lang gesessen, und alle waren dafür, es zu tun« – bis Chruschtschow diesen Vorschlag unterbreitete.
Gegen 18 Uhr 30 kehrte der Präsident in den Kabinettssaal zurück und regte an, alle sollten eine Pause fürs Abendessen einlegen. Dann besprachen er und sein Bruder sich im Oval Office mit McNamara, Rusk, Bundy und vier weiteren vertrauenswürdigen Beratern. McCone wurde nicht hinzugezogen. Sie erörterten seinen Vorschlag, der nunmehr der eigentliche Wunsch des Präsidenten war. Alle Anwesenden wurden zur Verschwiegenheit verpflichtet. Robert Kennedy verließ das Weiße Haus, um sich mit dem sowjetischen Botschafter Anatoli Dobrynin zu treffen, den er ins Justizministerium einbestellt hatte. Er teilte Dobrynin mit, dass die Vereinigten Staaten das Tauschgeschäft mit den Raketen unter der Voraussetzung akzeptierten, dass es nicht öffentlich gemacht werde. Die Kennedys wollten nicht als jemand erscheinen, der einen Kuhhandel mit Chruschtschow abschließt. Der Justizminister fälschte anschließend absichtlich seine Notizen von dieser Unterredung und machte einen
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