CIA: Die ganze Geschichte (German Edition)
sprachkundigen Mitarbeiter warfen einen dritten und vierten Blick auf den Zeitstempel. Alle – ausnahmslos alle, sogar die, die ihre Zweifel hatten – beschlossen, sich in Schweigen zu hüllen. Die NSA-Führung montierte fünf unterschiedliche, zwischen dem 5. und 7.August angefertigte Berichte und Zusammenfassungen über die Operation zu einem einheitlichen Text. Dann bastelte sie eine offizielle Chronologie zusammen, und das war dann die amtliche Version der Wahrheit, das letzte Wort über die Ereignisse im Golf von Tonking, die Darstellung der Geschichte, an die sich kommende Generationen von CIA-Analysten und Militärbefehlshabern zu halten haben würden.
Im weiteren Verlauf der Ereignisse vernichtete dann irgendjemand bei der NSA das brisante Beweisstück – die abgefangene Meldung, die McNamara dem Präsidenten vorgelegt hatte. »McNamara hat SIGINT-Rohmaterial in die Hände bekommen und dem Präsidenten etwas gezeigt, von dem beide glaubten, dass es der Beweis für einen zweiten Angriff sei«, so Ray Cline, damals stellvertretender CIA-Direktor für Nachrichtenverarbeitung. »Nach genau so etwas hatte Johnson ja gesucht.« In einer rational denkenden Welt wäre es Aufgabe der CIA gewesen, die SIGINT aus dem Golf von Tonking sorgfältig unter die Lupe zu nehmen und eine eigenständige Interpretation darüber zu veröffentlichen, was sie bedeutete. Aber die Welt hatte den Verstand verloren. »Es war zu spät für Differenzierungen«, sagt Cline. »Die Flugzeuge waren schon gestartet.«
In dem im November 2005 freigegebenen Eingeständnis der NSA heißt es: »Die überwältigende Mehrheit der Meldungen, wären sie verwertet worden, hätten darüber Auskunft gegeben, dass kein Angriff stattgefunden hatte. So aber wurde mit Vorbedacht der Versuch unternommen zu beweisen, dass der Angriff erfolgt war (…), der zielstrebige Versuch, die SIGINT-Meldung mit der behaupteten Version der Geschehnisse vom Abend des 4.August im Golf von Tonking in Einklang zu bringen.« Die Informationen, so die Schlussfolgerung des Berichts, »wurden absichtlich so zurechtgebogen, dass die These gestützt wurde, es habe einen Angriff gegeben«. Den amerikanischen Nachrichtendienstlern gelang es, »die Gegenbeweise wegzuerklären«.
Schon zwei Monate zuvor war Lyndon B. Johnson zur Bombardierung Nordvietnams bereit gewesen. Im Juni 1964 hatte Bill Bundy, der Bruder des US-Sicherheitsberaters und ehemalige CIA-Analyst, der als Unterstaatssekretär das Fernost-Referat im Außenministerium leitete, auf Anordnung des Präsidenten hin eine Kriegsresolution aufgesetzt, die dem Kongress vorgelegt werden sollte, sobald die Zeit dafür reif war.
Die Falschinformationen passten wie die Faust aufs Auge zum vorgefassten politischen Konzept. Am 7.August billigte der Kongress den Krieg in Vietnam. Das Repräsentantenhaus sprach sich mit 416 zu 0, der Senat mit 88 zu 2 Stimmen dafür aus. Es war eine »griechische Tragödie«, so Cline, ein Polittheater, das sich vier Jahrzehnte später wiederholte, als Falschinformationen über das irakische Waffenarsenal für einen anderen Präsidenten der Vereinigten Staaten erneut als Legitimation für einen Krieg herhalten mussten.
Lyndon Johnson blieb es vorbehalten, das wirkliche Geschehen im Golf von Tonking vier Jahre nach den Ereignissen in knappe Worte zu fassen. »Verdammt«, polterte der Präsident, »diese hirnrissigen Matrosen haben bloß auf fliegende Fische geschossen.«
23 »Mehr Mut als Verstand«
»Gut zehn Jahre lang war Vietnam mein Albtraum«, schreibt Richard Helms in seinem Buch. Als er vom Chef der CIA-Geheimdienstabteilung zum CIA-Direktor aufstieg, war der Krieg sein ständiger Begleiter. »Gleich einer bedrückenden Last zwang er mir Anstrengungen auf, die nie Erfolg zu haben schienen, und Anforderungen, die nie zu erfüllen waren, sondern nur wiederholt, verdoppelt, verstärkt und erneut verdoppelt wurden.
(…) Jeden operativen Ansatz probierten wir nach allen Regeln der Kunst durch und setzten unsere erfahrensten Agenten ein, um in Hanoi irgendwie in Regierungsnähe zu kommen. (…) Dass es uns nicht gelang, den nordvietnamesischen Regierungsapparat zu durchdringen, hat uns in der Agency in all den Jahren am meisten zu schaffen gemacht. Wir konnten weder herausfinden, was in den obersten Etagen der Ho-Regierung vor sich ging, noch in Erfahrung bringen, wie dort Politik gemacht wurde und wer sie machte.« Ursache für diesen Informations-Blackout war »ganz allgemein unsere
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