CIA: Die ganze Geschichte (German Edition)
innerhalb von sechs Jahren.
»Man kann die Wirkung der Turbulenzen und Unterbrechungen, die so ein ständiger Leitungswechsel mit sich bringt, gar nicht überbewerten«, sagte der CIA-Mann Fred Hitz. »Seine destruktiven Folgen für die Moral sind unbeschreiblich. Man fragt sich – wer trägt hier überhaupt die Verantwortung? Weiß denn da oben keiner, wo es langgeht? Kapieren die nicht, wozu wir da sind? Begreifen die nicht, was unsere Aufgabe ist?«
Tenet wusste, was seine Aufgabe war: die Rettung der CIA. Aber die CIA näherte sich dem Ende des amerikanischen Jahrhunderts unter der Bürde einer Personalpolitik, die aus den achtziger Jahren des 19. Jahrhunderts stammte, einem Informationsweitergabesystem, das an die Montagebänder der zwanziger Jahre des 20. Jahrhunderts gemahnte, und einer Bürokratie, wie sie um 1950 entstanden war. Sie schob Menschen und Gelder in einer Weise herum, die Erinnerungen an die Fünfjahrespläne Stalins wachrief. Ihre Fähigkeit, Geheimnisse zu sammeln und zu analysieren, ließ nach, als sich das Informationszeitalter explosionsartig entfaltete und das Internet die Chiffrierung – die Verwandlung der Sprache in Codes – zum universalen Instrument machte. Der Geheimdienst war zu einem Ort geworden, an dem »große Erfolge rar sind und Misserfolge zum Alltag gehören«, wie es in einem Bericht des mit dem Nachrichtendienst befassten Ausschusses im Repräsentantenhaus hieß.
Wieder einmal füllten die Misserfolge die Titelseiten. Die Leistungsfähigkeit der CIA in Sachen Spionage war erneut durch einen Verräter aus den eigenen Reihen beschädigt worden. Harold J. Nicholson, der Leiter des Büros in Rumänien gewesen war, hatte für zwei Jahre einen Posten als Hauptinstrukteur an der »Farm«, der Ausbildungsstätte der CIA bei Williamsburg in Virginia, übernommen. Er hatte seit 1994 für Russland spioniert und den Russen dutzendweise Unterlagen von im Ausland stationierten CIA-Agenten verkauft, desgleichen die Identität von jedem neuen CIA-Beamten, der 1994, 1995 und 1996 seinen Abschluss an der Farm gemacht hatte. Dem Bundesrichter, der Nicholson zu dreiundzwanzig Jahren Gefängnis verurteilte, erklärte die CIA, der Schaden, den er ihrer Arbeit weltweit zugefügt habe, sei unermesslich. Drei Jahrgänge von CIA-Absolventen waren im Eimer; einmal enttarnt, konnten sie nie mehr in den Auslandsdienst gehen.
Am 18.Juni 1997, drei Wochen vor Tenets Vereidigung, beseitigte ein Bericht des Ausschusses für die Nachrichtendienste im Repräsentantenhaus die letzten Reste der stolzen Vorstellung von einer CIA, die bei der Verteidigung Amerikas in vorderster Linie stand. Der Ausschuss, der von Porter J. Goss geleitet wurde, stellte fest, die CIA sei weitgehend mit unerfahrenen Beamten bestückt, die die Sprache der Länder, in denen sie stationiert waren, nicht beherrschten oder die politischen Verhältnisse dort nicht zu begreifen vermochten. Dem Bericht zufolge taugte die CIA immer weniger dazu, Informationen durch Spionage zu gewinnen. Seine Schlussfolgerung lautete, es mangele der CIA an dem erforderlichen »Scharfsinn, Überblick und Sachverstand (…), um die politischen, militärischen und ökonomischen Entwicklungen weltweit überwachen zu können«.
Etwas später in diesem Sommer veröffentlichte ein beamteter Mitarbeiter des Informationsdienstes der CIA namens Russ Travers einen Aufsatz in der hausinternen Zeitschrift der CIA, der unter die Haut ging. Er schrieb, die Fähigkeit der Amerikaner, Nachrichten zu sammeln und zu analysieren, schwinde dahin. Die Leiter des amerikanischen Nachrichtendienstes hätten jahrelang behauptet, sie entwickelten den Geheimdienst in die richtige Richtung. Das sei reine Fantasterei. »Wir passen unsere Strukturen ein bisschen an und verändern geringfügig unsere Programme (...), streichen sozusagen die Liegestühle auf der Titanic neu an.«
Allerdings, so seine Warnung, »fangen wir an, immer öfter immer mehr und immer größere Fehler zu begehen. Wir haben unsere Basis verlassen – das Sammeln und unvoreingenommene Analysieren von Fakten.«
Er stellte der künftigen Leitung eine Prognose. »Versetzen wir uns ins Jahr 2001«, schrieb er. »Um die Jahrtausendwende weisen die Analysen bereits einen bedrohlich bruchstückhaften Charakter auf. Die Organisation ist zwar noch in der Lage, Fakten zu sammeln, aber die Analysten werden schon lange von der Masse verfügbarer Informationen erdrückt und können nicht mehr zwischen wesentlichen
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