CIA: Die ganze Geschichte (German Edition)
Tatsachen und bloßem Hintergrundgeräusch unterscheiden. Die Qualität der Analyse steht immer stärker in Frage. (...) Die Daten sind vorhanden, aber wir sind nicht mehr in der Lage, ihre volle Bedeutung zu erfassen.«
»Von der Warte des Jahres 2001 aus betrachtet«, schrieb er, »ist das Versagen des Geheimdienstes unausweichlich.«
47 »Es gibt eine unmittelbare Bedrohung«
George Tenet wurde am 11.Juli 1997 als achtzehnter Direktor des Zentralen Nachrichtendienstes vereidigt. Wohl wissend, dass seine Worte in der New York Times erscheinen würden, brüstete er sich damals mir gegenüber mit der Behauptung, die CIA sei viel intelligenter und viel geschickter, als sich von außen erkennen lasse. Das lief unter Public Relations. »Wir waren fast bankrott«, gestand er sieben Jahre später. Er hatte eine CIA geerbt, »deren Sachkenntnis im Schwinden«, und einen Geheimdienst, »der in Auflösung« begriffen war.
Die CIA bereitete sich darauf vor, im September des gleichen Jahres ihren fünfzigsten Geburtstag zu begehen, und hatte als Teil der Feierlichkeiten eine Liste mit den fünfzig herausragendsten CIA-Beamten zusammengestellt. Die meisten von ihnen waren entweder alt und grau oder tot und begraben. Der Größte unter den Lebenden war Richard Helms. Er war nicht in Festlaune. »Die einzige verbliebene Supermacht interessiert sich zu wenig für das, was in der Welt passiert, um einen Spionagedienst zu organisieren und zu leiten«, sagte Helms. »Wir als Land sind davon abgekommen.« Sein Nachfolger, James Schlesinger, sah das auch so. »Das Vertrauen, das die CIA einmal genoss, ist geschwunden«, sagte er. »Der Nachrichtendienst ist mittlerweile so ramponiert, dass sein Nutzen für die Spionage bezweifelt werden muss.«
Tenet machte sich an die Erneuerung. Er rief die alten Stars aus ihrem Pensionärsdasein zurück, unter anderem Jack Downing, der Büroleiter in Moskau und Peking gewesen war und sich bereit erklärte, den Geheimdienst für ein oder zwei Jahre zu leiten. Tenet bemühte sich auch um eine Geldspritze für den Nachrichtendienst von mehreren Milliarden Dollar. Er versprach, dass die CIA innerhalb von fünf Jahren, also bis 2002, genesen werde, wenn das Geld gleich komme. Porter Goss, der im Repräsentantenhaus für den Etat der Agency zuständig war, machte für eine geheim gehaltene »Nothilfe« mehrere hundert Millionen Dollar locker, denen noch eine einmalige Finanzspritze in Höhe von 1,8 Milliarden Dollar folgte. Es war die höchste Ausgabensteigerung seit fünfzehn Jahren, und Goss versprach, noch mehr Geld aufzutreiben.
»Der Nachrichtendienst ist nicht bloß im Kalten Krieg nötig«, sagte Goss damals. »Wenn man an Pearl Harbor zurückdenkt, versteht man, warum. Da draußen warten unangenehme Überraschungen.«
»Katastrophales Versagen des Nachrichtendienstes«
Tenet lebte in einem Zustand fortwährender Vorahnungen, immer in Erwartung der nächsten Katastrophe. »Ich werde nicht zulassen, dass die CIA eine mittelmäßige Organisation wird«, verkündete er bei einer Aufputschveranstaltung in der Zentrale. Wenige Tage später, am 11.Mai 1998, erwischte es die CIA wieder einmal kalt, als Indien eine Atombombe zündete. Der Test veränderte weltweit das Gleichgewicht der Kräfte.
Die neue nationalistische Hindu-Regierung hatte öffentlich geschworen, ihr Arsenal durch Atomwaffen zu komplettieren. Indiens Beauftragter für Nuklearrüstung hatte erklärt, er stehe bereit, die Bombe zu testen, sobald die Politiker ihm grünes Licht gäben. Pakistan hatte neuentwickelte Raketen abgefeuert und Neu-Delhi damit eindeutig zu Reaktionen provoziert. Insofern musste die von der bevölkerungsreichsten Demokratie gezündete Atombombe die Welt nicht völlig unvorbereitet treffen – aber genau das tat sie. Die Berichte des CIA-Büros in Neu-Delhi ließen auf sich warten. Die Analysen in der Zentrale ließen es an Klarheit fehlen. Eine Vorwarnung hatte es nicht gegeben. Der Atomtest offenbarte die Unfähigkeit der CIA, ihre Unfähigkeit, Fotos zu interpretieren, Berichte zu verstehen, sich Gedanken zu machen und genau hinzuschauen. Es war ein »sehr verstörendes Ereignis«, sagte Charles Allen, der langjährige Leiter der Abteilung für Vorwarnungen bei der CIA, den Tenet aus seinem Pensionärsdasein zurückgerufen hatte, damit er ihm als stellvertretender Leiter der Abteilung Informationsbeschaffung beim Nachrichtendienst zur Seite stand. Es war ein deutliches Zeichen, dass das System CIA
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