Ciara
zeichnete sich an ihrem schlanken Hals ab, so als habe dort jemand aus Versehen eine falsche Farbe verwendet. Bei seinem ersten Besuch hatte die blutrote Schattierung den Hals jedoch vollständig umschlossen.
Nachdenklich kehrte er zu Ciara zurück. Er stoppte im Türrahmen und betrachtete die junge Frau, die eingeschlafen zu sein schien. Sie atmete regelmäßig, die Augen blieben geschlossen, als Paul eintrat. Das Frettchen lag auf ihrem Bauch und schnurrte wie eine Katze – mal lauter, dann leiser – im Takt von Ciaras Atmung. Sie wirkte zerbrechlich zwischen der zerknitterten Bettwäsche aus weißem Satin.
Das rote Haar umrahmte ihr blasses Gesicht und drapierte sich auf dem Kissen wie ein Fächer. Paul näherte sich ihr leise. Ihre Haut wirkte wie feinstes Porzellan. Die hellen Sommersprossen verliehen ihr ein kindliches Aussehen und verfärbten sich gewiss bei Sonneneinstrahlung, sofern Ciara jemals wieder Tageslicht sah. Für Sekunden überkam ihn der Drang, die feinen Pigmentflecke zu zählen.
Wie viele Männer wohl schon von ihren vollen Lippen kosten durften? Sein forschender Blick wanderte zu ihrem Hals. Dem Wahnsinnigen, der ihr daraus ein Stück mit den Zähnen gerissen hatte, gebührte eine dem Vergehen angemessene Strafe, wobei Paul nicht wusste, ob hier die weltlichen Gesetze ausreichten. Seine Augen erfassten das Amulett, welches unmittelbar neben der Schnauze des Frettchens lag. Die vollkommene Übereinstimmung der Farbe des Schmuckstücks mit der von Ciaras Augen erkannte er längst nicht mehr als Zufall an. Wieder betrachtete er ihr Gesicht; im selben Moment schlug sie die Augen auf.
Paul fühlte sich ertappt, er schaute zur Seite, übergab ihr rasch den Flakon und nahm das Frettchen von ihrem Bauch herunter. Vorsichtig tastete er die verletzte Pfote des Tieres ab und stellte fest, dass die Schnittwunde geschlossen und kaum mehr sichtbar war.
Ciara drehte sich auf die Seite und stützte sich auf einem Ellbogen ab. Sie zitterte leicht.
»Brauchst du Hilfe?«
Mit einem barschen »Nein« wies sie ihn ab. Mit sichtbarer Anstrengung begann Ciara, den Verschluss aufzudrehen. Sie keuchte erschöpft auf, als es ihr endlich gelang. Während Ciara die Öffnung an den Mund setzte, zelebrierte sie in Gedanken ein Ritual, das auch Paul vernahm: ›Mögen die Qualen verschwinden!‹
Ihr Gesicht verzog sich zu einer Maske des Ekels, nachdem sie einen Schluck genommen hatte. Sie schüttelte sich und stieß einen kurzen Laut aus, der wie »Bählah« klang. »Ich brauche etwas zu trinken.«
Im Badezimmer nahm er den Zahnputzbecher aus weißem Porzellan, der auf dem Rand des Waschbeckens stand, und füllte ihn mit Wasser.
»Das ist der Anfang, nicht wahr?«, fragte er sein Spiegelbild, das die Antwort schuldig blieb und ihn schweigend anstarrte.
Wieder hatte Ciara die Augen geschlossen und schien diesmal tatsächlich zu schlafen.
Paul stellte den Becher neben das schwarze Fläschchen auf den Nachttisch, dann nahm er die Kühlbox an sich und suchte die Küche, um dort die Blutbeutel im Kühlschrank zu deponieren.
Zurück in Ciaras Zimmer, setzte er sich in einen Schaukelstuhl, der abseits vom Bett in einer Ecke stand, und wachte über ihren Schlaf, bis ihn die eigene Müdigkeit überwältigte.
Als Paul Stunden später erwachte, spürte er eine Veränderung im Raum. Er schlug die Augen auf und zuckte leicht zusammen. Ciara stand nur wenige Armlängen von ihm entfernt und musterte ihn.
Langsam richtete er sich auf, bewegte seinen Kopf und ignorierte das Knacken seiner Nackenwirbel. Er fuhr sich durch die Haare und fragte: »Gut geschlafen?«
Ciara nickte, verschwand im Badezimmer und schloss die Tür. Wenige Sekunden später öffnete sie sich wieder. Ein Arm, an dem die Kanüle und der leere Beutel baumelten, schob sich durch den Spalt hindurch. »Kannst du mir das mal abmachen?«, fragte Ciara von der anderen Seite der Tür.
Schwerfällig drückte sich Paul aus dem Sessel hoch und gähnte. Vor Müdigkeit bildeten sich Tränen in seinen Augen, doch die Handgriffe, die nötig waren, um den Schlauch abzutrennen, beherrschte er sogar im Schlaf.
»Brauch ich die Kanüle denn noch?«
»Ja, behalte sie bitte noch eine Weile. Nur zur Vorsicht.«
»Die Treppe hoch, rechter Gang, zweite Tür befindet sich ein weiteres Badezimmer«, hörte er Ciaras Stimme durch die nun wieder geschlossene Tür.
Bevor er nach oben ging, durchquerte er das Foyer, öffnete die Haustür und rannte durch einen eisigen Nebel
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