Ciara
zu seinem Auto. Aus seiner Tasche nahm er sich Wechselsachen und seine Zahnbürste mit. Er warf einen Blick auf seine Armbanduhr. Die Zeiger standen beide auf der Zwei. Vorerst ließ er den Rest seiner Habe im Auto zurück.
Der kalte Wind hatte ihm die Müdigkeit aus Kopf und Gliedern gefegt. Mit neu erwachtem Schwung lief er die Treppen nach oben ins zweite Badezimmer, das exakt dem in der unteren Etage entsprach, wie er beiläufig feststellte. Er duschte schnell, putzte sich die Zähne und schlüpfte in frische Kleidung.
Seine Lederjacke legte er sich über die Schulter. Im Foyer entdeckte er an der Wand links neben Ciaras Zimmertür eine Garderobe aus schwarzen Eisenverstrebungen. Dort hängte er die Jacke auf. Danach ging er in die Küche, holte einen Blutbeutel und klopfte an Ciaras Tür.
Sie bat ihn sofort herein. Ein grauer, flauschiger, bis zu den Füßen reichender Bademantel bedeckte ihre Blöße. Um ihre Haare wand sich ein ebenfalls graues Handtuch wie ein Turban.
Paul räusperte sich und schaute sich im Raum um, damit er Ciara nicht direkt ansehen musste. »Wie geht es dir jetzt? Was machen die überstrapazierten Sinne?«
»Mir geht es gut. Und …« Sie drehte ihren Kopf zur Seite. »Meine Wunden sind geschlossen, noch verkrustet, aber beinahe verheilt. Wie ist das möglich, so schnell?« Paul wusste, dass ihre inneren Verletzungen noch längst nicht so gut verheilt waren wie die äußerlichen.
»Ich möchte dir eine letzte Transfusion geben. Ich denke, du hast ein wenig Nachholbedarf.«
»Dann brauch ich das Blut, um meine Wahrnehmungen unter Kontrolle zu halten?«
»So in etwa.« Er kramte einen neuen Schlauch hervor, koppelte diesen mit dem Blutbeutel und klemmte ihn an die Kanüle in Ciaras Hand.
»Das Frettchen ist weg«, meinte Ciara.
Paul schwieg einen Moment lang irritiert, bevor er den abrupten Themawechsel nachvollzogen hatte.
»Das Haus ist groß, es wird auf Erkundungstour sein.«
»Es ist gestern ständig um mich herumgewuselt, aber seit ich wach bin, habe ich es noch nicht gesehen. Und – es hat Angst, das spüre ich.«
»Das merkst du? Ohne große Anstrengung?« Paul verblüfften Ciaras Fähigkeiten, die seinen eigenen weit überlegen zu sein schienen.
Ciara nickte.
»Dann werde ich es suchen.«
»Nein!«, protestierte Ciara und hielt Paul an seinem mausgrauen Sweatshirt zurück. Er starrte erstaunt auf die Hand und anschließend Ciara fragend ins Gesicht.
»Ich möchte mitgehen.«
»Fühlst du dich stark genug dafür?«
»Ja!«, antwortete sie energisch, schickte ihn nach draußen und schloss die Zimmertür.
Neugierig näherte sich Paul den Bildern, die ihn nach wie vor magisch anzogen. Abermals hatte sich das Gemälde verändert. Der Fleck an Ciaras Hals verblasste – und ihre Augen glänzten stärker als zuvor.
»Meine Mutter hat sie gemalt«, erklärte Ciara, als sie hinter ihn trat. »Ich hab das Untere erst in der Nacht«, Paul spürte ihren Atem in seinem Nacken, »meines Geburtstages gefunden, oben in ihrem Zimmer. Wunderschön, nicht wahr?«
›Nicht so schön, wie du in Wirklichkeit bist‹, dachte er und erschrak. Er drehte sich zu ihr um und suchte ihr Gesicht nach einer Reaktion ab. Doch sie reagierte nicht auf sein Kompliment. Ihre Mimik blieb ausdruckslos, nur ihre Augen wirkten traurig.
»Lass uns nachschauen, ob das Frettchen oben ist«, lenkte Paul ab und ließ Ciara den Vortritt. Sie trug einen dunkelblauen kurzen Strickpullover. Bei jeder Bewegung schimmerte ein Stück ihres Rückens hervor. In einer Tasche ihrer weiten schwarzen Stoffhose steckte der Blutbeutel.
Je höher sie die Treppe erklomm, umso mehr verlangsamten sich Ciaras Schritte. Die letzten Stufen zog sie sich am Geländer empor. Paul bot ihr seinen Arm an, erhielt aber nur ein Kopfschütteln zur Antwort. Er hatte auch nicht erwartet, dass sie sich helfen ließ, dennoch blieb er hinter ihr, um sie im Ernstfall halten zu können.
Als sie den Flur erreichten, lehnte sich Ciara erschöpft gegen die Wand. Paul wartete einige Atemzüge, um ihr Zeit zu geben, sich zu erholen, bevor er sagte: »Wir können das Frettchen leichter finden, wenn wir unsere Sinne benutzen.«
Ciara schaute ihn neugierig an.
»Weißt du, wie du dein Zentrum findest?«
»Ja, aber ich glaube nicht, dass ich es jetzt kann. Seit dem Tod meiner Mutter gelingt es mir nicht mehr, mich zu konzentrieren.«
»Darf ich dich anleiten?«
Sie nickte, straffte ihren Rücken und wartete auf seine Anweisungen.
In
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