Ciara

Verpackungen trampelte und dann erschöpft vor ihm stockte, begrub er seine Vergangenheit unter dem auf dem Boden verstreuten Müll.
    Sie schaute ihn mit gerunzelter Stirn an. »Mike?«
    Es verwunderte ihn, seinen Namen zu hören.
    »Mike! Was – was ist geschehen? Was?« Ihre Knie gaben nach und sie sank ihm in den Arm. Ein neuer Schub der Anämie überrollte ihren Körper. Doch diesmal wusste Mike ihr nicht zu helfen. Er zog sie aus der Küche hinaus in ihr Zimmer. Sie sank auf das Bett und starrte Mike fragend an: »Was ist passiert?«
    In knappen Worten erzählte Mike ihr, was geschehen war, angefangen mit Pauls Starre und dem Zusammentreffen mit den Polizisten, über die Begegnung mit Fear, bis hin zu ihrer Befreiung, Pauls Plan, Blut zu beschaffen, und ihrem Erwachen.
    »Oh, nein! Ich wusste nicht, dass ich Paul damit so schaden könnte. Es war … Und dir. Dein Arm. Verzeih mir.« Diesmal waren die Tränen echt.
    »Schon gut.«
    »Und was ist mit Paul? Warum hat er sich nicht gemeldet? Hat er ihn erwischt?«
    »Kann ich dich für kurze Zeit allein lassen? Ich muss den Arm neu bandagieren lassen und dir Blut besorgen; und außerdem könnte ich nachfragen, ob Paul im Krankenhaus angekommen ist.«
    »Sterben kann ich ja nicht«, erwiderte Ciara.
    »Ich komme wieder. Das verspreche ich dir.« Er verspürte das Verlangen, ihr über die Wange zu streichen, unterdrückte dieses Gefühl aber und erhob sich, zog sich seine Jacke an und nickte ihr zu. Bevor er das Haus verließ, rief er sich ein Taxi.
     
    Während der Fahrt ins Krankenhaus stellte er sich wiederholt die Frage, wie er in so ein Schlamassel hineingeraten konnte und was mit ihm geschehen war, seit er über Ciara und Paul Bescheid wusste.
    Er hatte stets für seinen Job gelebt und sich um seine kranke Mutter gekümmert. Jede freie Minute verbrachte er mit seiner Harley, einer Black Sportster 1200, an der er mit Hingabe schraubte und polierte, meist in der Gemeinschaft der
Driving Snakes
– einer freien Bikergemeinde, die sich in unregelmäßigen Abständen traf und dabei Wert auf das »Frei« legte. Selbst ein Colour, ein Abzeichen, hatten sie sich nicht zugelegt und gegen die Regel, dass Bullen in einem Motorcycle Club nicht willkommen waren, verstießen sie aus Prinzip. Gleich drei Polizisten verbrachten ihre Freizeit bei den
Driving Snakes.
    Sie hatten sich eine alte Lagerhalle, nicht weit entfernt von der
Stammkneipe,
gemietet, wo sie sich bei schlechtem Wetter trafen. Ihnen ging es um die gemeinsame Liebe zur Harley Davidson und das Gefühl der Einheit bei den Runs über die Landstraße. Alkohol mieden sie gänzlich, obwohl sie manche Abende in der
Stammkneipe
verbrachten. Allerdings erlaubten sie – nach alter Tradition – keine Frauen in ihrer Gemeinde, lediglich als Beifahrer. Und Mike gehörte zu den Männern, die keine Ausnahmen duldeten.
    Nun wünschte er sich zu Ciara zurück und hatte ein Bild vor Augen, wie er gemeinsam mit ihr auf seiner Harley gen Sonnenuntergang fuhr. Bei dem Gedanken an sie summte der feine Motor in ihm stärker. Vergebens suchte er nach einem Hebel, um das Tuckern in seinem Inneren auszuschalten.
     
    In der Ambulanz warteten seine Kollegen seit Stunden auf ihn und bombardierten ihn mit Fragen und Vorwürfen: »Sag mal, hast du kein Interesse mehr an deinem Job? Der Arm sieht grausam aus! Was hast du damit gemacht?«
    »Ich bin die Treppe runtergefallen«, log Mike.
    »Um einen festen Gips kommst du nicht mehr herum. Vorher röntgen wir den Arm aber noch mal, um weitere Brüche auszuschließen«, teilte ihm ein Arzt mit, dessen Name Mike nicht einfiel.
    Während die Röntgenaufnahme gemacht wurde, schloss er die Augen. Er sehnte sich danach, einzuschlafen, aber nach wenigen Minuten kehrte der namenlose Kollege zurück, hielt die Aufnahme ins Licht und urteilte, dass Mike noch mal Glück gehabt habe.
    »Schwester Ruth macht dir einen festen Gips. Gute Besserung.« Er klopfte Mike zum Abschied auf die Schulter, eilte zum nächsten Patienten und übergab ihn den Händen der jungen Schwester, die ihn nervös anlächelte. Diesmal ging Mike nicht darauf ein. Er lehnte seinen Kopf an die Wand, schloss die Augen, döste ein und schreckte erst auf, als die Tür lautstark geöffnet wurde.
    »Mike! Ich hab gehört, dass du hier bist.« Stephan schien aufgebracht.
    »Ich bin krankgeschrieben, ich kann für niemanden einspringen.«
    Mit einer abweisenden Handbewegung bedeutete Stephan, dass er nicht deshalb gekommen sei. »Paul