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Ciara

Ciara

Titel: Ciara Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicole Rensmann
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und Smith, ohne auf Antwort zu warten, ins Zimmer trat. Diesmal lächelte er nicht. Mit einem knappen »Bitte!« wies er zur Tür.
    Fluchtvisionen schossen durch Pauls Kopf: Geiselnahme, Selbstmord, Mord. Letztendlich aber erhob er sich ohne Widerstand zu leisten und trat an Smith vorbei in den Flur. Für wenige Sekunden überlegte er, sich von der Brüstung zu stürzen. Aber dann gäbe es für Ciara keine Chance mehr. Nein! Wenn Fear sich Smith widersetzen konnte, dann war auch er dazu in der Lage. Es gab einen Ausweg, er musste nur die richtige Tür finden und sie aufstoßen.
     
    Doktor Smith marschierte voraus, die Treppe hinunter, quer durch das Foyer und durch eine Tür, hinter der sich eine weitere Treppe befand. Nachdem sie die zwanzig Stufen hinaufgegangen waren, traten sie in einen schmalen Flur, der von weißem Neonlicht beleuchtet wurde. Mehrere verschlossene Türen führten davon ab.
    Smith brachte Paul in den zweiten Raum, der zunächst wie ein normaler Behandlungsraum einer Notaufnahme wirkte. Neben der Bahre in der Mitte des Zimmers stand ein Ultraschallgerät und auf der anderen Seite ein Defibrillator.
    Links von der Tür, durch die sie gekommen waren, drängten sich dicht an der Wand weiße Kunststoffschränke, deren glatte, leicht zu reinigende Oberfläche einige dunkelbraune Flecken aufwies. Getrocknete Blutspritzer, vermutete Paul. Rechts von ihm lagen auf einem sterilen Tisch chirurgische Instrumente, Spritzen, Handschuhe und Kompressen sowie mehrere Nierenschalen. Schweiß bildete sich auf Pauls Rücken. Nervös fuhr er sich mit der Hand erst durch die Haare und anschließend über seinen stoppeligen Drei-Tage-Bart. Eine Fensterfront und eine weitere Tür füllten die dritte Wand aus. Braune Lamellenrollos verdeckten die Sicht nach draußen – und nach drinnen.
    Hinter Paul fiel die Tür ins Schloss. Er fuhr herum.
    »Nachdem Sie sich alles angesehen haben, können wir jetzt beginnen. Bitte gehen Sie nach nebenan.« Smith deutete mit einer Hand auf die Tür neben den Fenstern. »Und ziehen Sie sich den Kittel an, der dort für Sie bereitliegt.«
    Paul gehorchte und vermied es, darüber nachzudenken, was ihn in den nächsten Minuten, vielleicht Stunden, erwartete. In dem kleinen separaten Umkleideraum konnte er sich kaum umdrehen. Er zog seine Kleidung aus und streifte sich den weißen Kittel über, der am Kragen mit einem Band geschlossen wurde. Als er durch die Tür zurück in den Behandlungsraum trat, stellte er mit wachsendem Entsetzen fest, dass Smith nicht mehr alleine wartete: Zwei uniformierte und mit Gewehren bewaffnete Männer bewachten die Tür, zwei weitere die Fenster. Smith nickte Paul zu, »Bitte legen Sie sich hier herauf«, und zeigte auf die Bahre.
    Warum wehrte er sich jetzt nicht, warum ließ er diese Demütigung über sich ergehen? Doch er folgte den Anweisungen ohne jeglichen Widerstand. Paul wusste, dass er gegen die Bewacher und Smith keine Chance hatte. Er war körperlich und mental hoffnungslos unterlegen. Jeder Fluchtversuch musste in einer Niederlage enden. Es blieb ihm nur eine Möglichkeit der Gegenwehr, und das bedeutete zunächst, Smith’ Spielregeln zu folgen.
    »Bitte drehen Sie sich zur Seite und ziehen Sie die Beine an.«
    »Bekomme ich eine Narkose?«
    »Durchaus.«
    Paul bemerkte einen brennenden Stich in der linken Pobacke.
    »Dürfen Sie das überhaupt?«
    »Wie bitte?«
    »Mir eine Spritze setzen. Haben Sie Ihren Doktor überhaupt in Medizin gemacht?«
    Smith lachte. Als Antwort breitete sich, beginnend bei der Einstichstelle, eine Gänsehaut aus, ergriff nach und nach die Beine und kroch über den Rücken hinauf bis zum Nacken.
    Paul atmete stoßweise ein und aus, um Luft in die Lungen zu pumpen.
    »Was ist das?«
    »Ihre Betäubung.«
    »Das ist keine Betäubung. Verdammt, was haben Sie mir da gespritzt?«
    Paul versuchte sich umzudrehen, doch er konnte sich nicht mehr bewegen. Wie ein toter Embryo lag er auf der Seite, die Beine, die er nicht mehr wahrnahm, leicht angezogen, die Arme schlaff vor sich liegend. Waren das seine Hände? Paul starrte an den weißen Schrank, bewegte die Augäpfel, erblickte erneut seine Arme, ein Stück seiner Knie und, als er nach oben schielte, ein bisschen Licht, das durch die Ritzen des Rollos schimmerte. Er versuchte zu sprechen, doch die Lähmung hatte bereits auf seine Stimmbänder übergegriffen. Und dann explodierte etwas in seinem Kopf, sein mentales Abschirmsystem brach zusammen, als sei es von einem Virus

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