Ciara
öffnen. Ein entscheidender Tag begann.
Nach seinen gestrigen Forderungen, und vor allem, nachdem er Smith’ Gedanken hatte lesen können, wusste Paul, dass er bald zu Fears Nachfolger gekürt werden würde. Noch hoffte er, dass er den Manipulationen etwas entgegenzusetzen hatte. Denn Smith’ Auftrag würde lauten: Töte Ciara und kehre zurück!
Er schnitt der Kamera ein paar Grimassen, dann erhob er sich. Müde schlurfte er ins Bad, duschte, zog sich an und betrachtete sein Spiegelbild. »Ist das schon das Ende von allem?«
Als er in sein Zimmer zurückkehrte, wartete Doktor Smith auf ihn.
»Guten Morgen. Bitte, setzen Sie sich, lassen Sie uns zusammen frühstücken und unser gemeinsames Vorgehen besprechen.« Der freundliche Ton in der Stimme des Doktors bestätigte Pauls Befürchtungen.
Zögernd nahm er das Angebot an, musterte Smith von der Seite und setzte sich auf einen Stuhl. Paul mahnte sich zur Vorsicht, andererseits hatte er auch nichts mehr zu verlieren. Smith nahm auf einem zweiten Stuhl Platz, den er mitgebracht haben musste, ebenso wie ein überaus üppiges Frühstück, das Paul an eine Henkersmahlzeit denken ließ.
Wie ein aufmerksamer Gastgeber schenkte Smith Kaffee ein und reichte ihm den Brotkorb voller Backwaren, aus denen Paul auswählte.
Sie aßen stumm. Nur leise Essgeräusche unterbrachen dann und wann die Stille. Als sich Paul einen zweiten Bagel aufschnitt, sagte Smith: »Es ist bemerkenswert, mit welchem Appetit Sie essen!«
»Möglicherweise ist es meine letzte Mahlzeit, Doktor Smith.«
Smith lachte. »Nein, da kann ich Sie beruhigen. Die Vorbereitung für Ihre Aufgabe wird sicherlich einige Zeit in Anspruch nehmen. Sie sind enorm stark – aber das wissen Sie ja selbst.«
»Bis jetzt ist es noch niemandem gelungen, diesen Willen zu brechen.« Paul legte sich eine Scheibe Schinken auf eine Hälfte des Brötchens und studierte Smith’ Miene. »Mich würde interessieren, Dr. Smith, mit welcher Sucht Sie leben müssen und welche Abnormitäten Ihre Gene aufweisen.«
Laut schlürfend trank Smith einen Schluck Kaffee. Er stellte die Tasse zurück auf den Tisch und musterte Paul schmunzelnd. »Nun, ich benötige zumindest kein Blut, um meine Sehnsüchte zu stillen, und ich muss auch niemanden töten, damit mein Wissen wächst. Aber, wie Sie in meinen Gedanken gelesen haben, sind wir uns dennoch sehr ähnlich. Wie alle hier in meinem Institut. Ist das nicht wunderbar? Eine große Familie.«
Er lächelte so glücklich, dass Paul für einen Moment versucht war, ihm zu glauben.
»Und? Wer bin ich in der großen Familie? Ihr Bruder? Ihr Sohn?«
Smith lachte: »Das werden wir noch sehen.«
»Ich verstehe. Was haben Sie mit mir vor?« Paul biss in die Bagelhälfte und bemühte sich, leise zu kauen, damit ihm kein Wort entging.
»Nun, zunächst einmal müssen wir Ihnen unterschiedlichste Proben entnehmen. Da Sie selbst Arzt sind, werde ich nicht erklären müssen, welche das sind. Diesen Teil der Untersuchungen hat noch jeder überlebt.« Smith brach sich ein Stück Brötchen ab und biss hinein. »Diverse Belastungstests folgen.«
»Und wie wollen Sie meinen Willen brechen?«
»Aber mein lieber Paul, ich möchte Ihnen doch die Überraschung nicht verderben.« Smith erhob sich, doch an der Tür drehte er sich noch einmal um: »In einer halben Stunde hole ich Sie ab. Übrigens – spüren Sie es? Nein? Dann sage ich es Ihnen: Ciara ist auf dem Weg hierher.«
Paul verschluckte sich an dem Stück Bagel, auf dem er lustlos kaute. Er hustete, röchelte, Tränen stiegen ihm in die Augen. Langsam beruhigte sich seine Atmung, und das Gefühl, ersticken zu müssen, ließ nach.
Als er aufschaute, hatte Smith den Raum verlassen. Mit Schwung schnellte er auf, dabei stieß er an ein Tischbein, der Kaffee in seiner Tasse schwappte über den Rand und sickerte in die Poren des unbehandelten Holzes.
›Nein, nein, nein, nein!‹, brüllte er in Gedanken. Auch auf die Gefahr, dass Smith seine Warnung an Ciara las, übermittelte er: ›Du darfst nicht kommen! Du darfst nicht hierher kommen! Hörst du mich? Sie werden dich töten!‹ Erschöpft sank Paul auf sein Bett, aber er glaubte, Ciara erreicht zu haben.
Um Kräfte zu sammeln, verspeiste er sämtliche Nahrungsmittel auf dem Frühstückstablett, das Smith zurückgelassen hatte: Bagels, Donuts, Käse, Wurst, Marmelade. Ohne Genuss leckte er den Löffel ab, mit dem er ein Töpfchen Nuss-Nougat-Creme ausgekratzt hatte, als es an der Tür klopfte
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