Ciara
Mercedes fuhr direkt auf sie zu, bremste und hielt wenige Zentimeter vor ihnen.
Bill nickte ihnen durch die Windschutzscheibe zu. Ohne einen weiteren Kommentar stiegen sie ein. Mike empfand die Luft im Inneren des Autos beinahe als zu heiß. Er drehte sich zu Ciara um. Sie öffnete ihre Jacke und begann mit ihren Fingern auf den Knien zu trommeln.
»Danke, dass du zurückgekommen bist«, wandte sich Mike wieder Bill zu.
»Okay«, meinte Bill nur. »Bringen wir es hinter uns.«
Er legte den ersten Gang ein, doch bevor er Gas gab, blickte er zu Ciara nach hinten. Das Misstrauen in den blauen Augen seines Kumpels traf Mike.
»Mike ist einer meiner besten Freunde, und nur darum dulde ich dich und das Tier.«
»Mike ist auch einer meiner besten Freunde. Und ich bin dir dankbar, dass du uns über die Grenze bringst. Bitte verzeih mir, dass ich so schroff zu dir war.«
Irritiert runzelte Bill die Stirn, schwieg und fädelte den Wagen in den dichter werdenden Autobahnverkehr ein. Auch Mike wunderte sich über die Worte. Nachdenklich starrte er aus dem Seitenfenster und nahm beiläufig die vorbeihuschenden kahlen Laubbäume wahr, die zu einem mit braunen Farbtönen gemalten Ölgemälde verwischten.
Nach einer halben Stunde im Stau und einer zweistündigen Fahrt erreichten sie die deutsch-niederländische Grenze. Von da aus fuhren sie nach Schiphol zum Flughafen von Amsterdam, wo Bill sie absetzte. Er half ihnen, das Gepäck aus dem Wagen zu nehmen, und umarmte Mike zum Abschied. Ciara reichte ihm als versöhnliche Geste die Hand, die Bill, ohne zu lächeln, aber mit einem Nicken ergriff. Bevor er wieder in den Wagen stieg, rief er Mike zu: »Melde dich, sobald ihr zurück seid!«
Als Antwort winkte Mike, dann fuhr Bill ab und ließ die beiden zurück.
Ciara und Mike drängten sich, so zügig wie möglich und ohne Aufmerksamkeit zu erregen, durch die wartenden Menschen zum Schalter. In einer kleinen Maschine, die in der Nacht nach Trenton flog, erhielten sie noch zwei Plätze.
»Ich brauche dringend etwas zu essen. – Alles ist so laut hier«, flüsterte Ciara.
»Lass uns dort hingehen!« Mike zeigte auf ein Schild, das auf ein Restaurant hinwies. Gemeinsam manövrierten sie sich durch wartende Menschenschlangen und Gruppen von fotografierwütigen Asiaten, bis sie das Restaurant, das abseits von all dem Trubel lag, erreichten. Es war großräumig und zweistöckig gebaut. Doch die vielen kleinen Nischen und das behagliche Ambiente gestalteten die Wartezeit angenehm.
Ciara bestellte sich zwei blutige, kurz angebratene Steaks, dazu Kartoffeln und eine Gemüseplatte für zwei Personen, bei der sich auch Mike bediente. Vorab aßen sie eine Nudelsuppe und als Nachtisch probierte Ciara alle süßen Kreationen der Speisekarte. Dem skeptisch dreinschauenden Kellner erklärte Ciara, sie sei schwanger, was dieser zum Anlass nahm, mit einer vom Restaurant spendierten Portion Zupfkuchen zu gratulieren.
»Kannst du Paul orten?«, fragte Mike, als niemand in Hörweite war.
»Ich habe es noch nicht versucht.«
»Warum nicht? Es kann doch für dich nicht mehr sein, als die Augen zu öffnen oder tief durchzuatmen?!«
»Mike, es schwächt mich aber. Ich weiß zu wenig darüber und über all das, was in den letzten Tagen passiert ist. Ich verstehe es nicht, und ich habe Angst davor. Angst, andere damit zu verletzen.«
»Ich glaube nicht, dass dir das passieren wird. Versuche doch, Paul wenigstens mitzuteilen, dass wir kommen!«
Sie schloss die Augen, setzte sich unsichtbare Scheuklappen auf, öffnete ihr Zentrum und die dort verborgenen telepathischen Sinne, die sie aus Angst vor weiteren Angriffen verschlossen hatte. Bevor sie sich jedoch auf Paul konzentrieren konnte, schlugen Pfeile in ihr Gehirn. Eine Botschaft! So machtvoll und mit solchem Nachdruck, als haben die Worte ungeduldig auf Einlass gewartet:
Vertraue auf deine Fähigkeiten, aber folge mir nicht!
Der Hauch eines Kusses berührte ihre Lippen, den sie in ihrem Kopf fest, weich und so intensiv wahrnahm, dass sie sich nach mehr sehnte. Sie stöhnte auf, doch bevor sie dieses Gefühl in sich aufnehmen konnte, traf eine weitere Warnung ein:
Du darfst nicht kommen! Du darfst nicht hierher kommen! Hörst du mich? Sie werden dich töten!
Ihre Gedanken rasten in Schallgeschwindigkeit durch ein Tunnelsystem, kreuz und quer, bis sie Paul erblickte:
Paul.
Paul!
Sie rief ihn.
Paul!
Er hörte sie nicht.
Tränen rannen über ihr Gesicht. Sie
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