Cigams Sündenfall
an. Diaz fröstelte. Er ahnte, daß etwas auf ihn zukommen würde, aber er wußte nicht, was es war. Etwas stimmte mit dieser Person nicht, und auch deren nächste Frage erschreckte ihn. »Halten Sie mich für normal sterblich?«
Diaz wollte grinsen. Es mißlang. Nur mehr die Lippen bewegten sich zuckend. »Wie bitte?«
»Halten Sie mich für normal sterblich?«
»Ja, verdammt! Was sonst?!«
Die Frau nickte und sagte: »Dann geben Sie mal acht, mein Lieber. Schauen Sie genau hin.«
Den Gefallen wollte er ihr noch tun. Er überlegte, mit welchem Trick sie jetzt wieder herausrücken würde, und er sah, wie sie ihren rechten Arm anhob. Daumen und Zeigefinger hielt sie etwas abgespreizt. Mit beiden faßte sie an eine bestimmte Stelle ihrer Stirn. Dicht unter dem Haaransatz, an der rechten Seite.
»Schauen Sie genau hin!«
Diaz schaute hin. Und er hatte das Gefühl, einen perfekten Horror-Film zu erleben. Er tauchte hinein in das Szenario des Schreckens, denn was er hier an der Bar zu sehen bekam, das glich schon einem irrwitzigen Alptraum.
Die Frau hatte ein Stück Haut zwischen die Finger geklemmt. Sie schob und zog es von ihrem Gesicht weg. Sie schuf eine kleine Lücke, in der das graue Räderwerk einer Mechanik schimmerte…
»O Gott«, sagte der Keeper nur, »o Gott…«
Genau die gleichen Worte benutzte ich auch, als ich in der großen Duschkabine neben der Frauenleiche stehenblieb und auf sie niederschaute. Suko hielt sich neben mir auf, die Männer der Mordkommission waren zurückgetreten und hatten sich abgewandt. Die dünnen Plastikhandschuhe über ihren Händen schimmerten wie eine hauchzarte Eisschicht auf rosigem Fleisch.
Die Frau lag auf dem Rücken. Mehrere Duschtassen glotzten auf sie nieder wie Augen aus Metall. Der Raum hier gehörte zu einem städtischen Freibad, doch das interessierte uns nur am Rande. Die Frau war für uns einfach wichtiger.
Sie war tot.
Darauf kam es uns – so schlimm dies auch sein mochte – nur in zweiter Linie an. Es ging uns darum, wie sie gestorben war, und nur deshalb hatte man uns geholt.
Sie hatte keine Haut mehr!
Ja, es war so. Man hatte ihr die Haut vom Körper gezogen. Aber hier erlebten wir nicht den Film ›Das Schweigen der Lämmer‹, sondern eine fürchterliche Wirklichkeit, in die wir an diesem herrlichen Frühlingstag brutal hineingestoßen waren.
Eine Putzfrau hatte die Tote entdeckt.
Das Bad selbst war an diesem Vormittag geschlossen, erst am Mittag hätte es seine Pforten wieder geöffnet, und nun dies.
Ich atmete und hatte trotzdem den Eindruck, keine Luft zu bekommen und nur den Kloß zu vergrößern, der sich in meinem Innern festgesetzt hatte. In meinem Kopf spürte ich ein dumpfes Gefühl, als hätte mir jemand vor kurzem noch gegen den Schädel geschlagen. Daß meine Beine und auch die Hände zitterten, konnte ich nicht vermeiden, und der Schweiß lief mir in kleinen Bächen in den Nacken hinein. Er war wie kaltes Öl, das sich auf meiner Haut festgesetzt hatte.
Ich möchte mir eine Beschreibung ersparen. Wie die arme Frau aussah, kann sich wohl jeder vorstellen, aber wir waren vom Fach und konnten uns auch nicht einfach wegbeamen. Wir mußten uns der schrecklichen Realität stellen.
Ich regte mich nicht. Suko, der neben mir stand, sagte auch nichts. Ich hörte nur seinen schnaufenden Atem und bemerkte, daß auch er von diesem Anblick stark getroffen worden war. Wir hätten jetzt eigentlich reden müssen, das schafften wir nicht. Uns kam einfach kein Wort über die Lippen.
Ich umging die Person und wich auch dem dunklen Blut aus, dessen Oberfläche eine dünne Haut zeigte. Woher die Fliegen gekommen waren, wußte ich nicht. Jedenfalls umschwirrten sie die Leiche wie ein summender Schwarm.
Das einzige Geräusch, das uns störte, denn die Kollegen der Mordkommission verhielten sich ruhig. Auch ihr Chef, der an der Tür stand wie ein Wächter. Er war ein Freund von uns und hatte sofort gemeint, daß dies ein Fall für uns war.
Der Mann hieß Tanner, stand im Range eines Chiefinspectors und war bekannt dafür, daß er seinen alten Hut nie abnahm. Auch wir hatten ihn nur selten ohne gesehen. Selbst in dieser nach Blut riechenden Duschkabine hatte er ihn aufbehalten.
Suko und ich hatten unsere Runden beendet, und unsere Gesichter waren nach jedem Schritt bleicher geworden. Tanner erwartete uns schon und wurde auch nicht enttäuscht, als wir vor ihm stehenblieben.
Es gab zahlreiche Fragen, er stellte keine, schaute uns nur an. Zum
Weitere Kostenlose Bücher