Cinderella auf Sylt - Bieling, E: Cinderella auf Sylt
musst keine Angst haben. Die Wanne ist so groß, dass du sogar drei Schiffe zum Spielen mit hinein nehmen könntest.«
»Auch Militärschiffe?«
»Klar.«
»Das müssen wir dem Major erzählen.«
»Machen wir, aber vorher musst du Probebaden.«
Elsbeth Schmiedel nickte Cinderella zu. »Ich schau mal, ob ich etwas zum Spielen für ihn finde.« Kurz darauf kam sie mit einer Puppe zurück. »Leider konnte ich keine Militärschiffefinden. Aber dieser kleine Pirat würde gerne mit in die Badewanne.«
Tommy musterte das ausgezogene Puppenkind. »Das ist kein Pirat. Das ist ein Mädchen.«
Frau Schmiedel lachte verlegen. »O je, du hast recht. Eine Piratin.«
»Die braucht aber unbedingt eine Augenklappe, Mama. Und ein gestreiftes Piratenhemd.«
»Bekommt sie, Tommy. Versprochen.«
Bereitwillig ließ er sich ausziehen und stieg ins Wasser. »So, jetzt das Piratenmädchen«, kommandierte er.
Elsbeth Schmiedel stand in der Tür. »Ein aufgeweckter Junge, Ihr Sohn.« Cinderella schmunzelte. »Ja, aber manchmal denke ich, ich schaffe es nicht allein, ihn großzuziehen.«
»Ach, wissen Sie, das geht manchmal wie von selbst. Man wächst mit den Kindern über sich hinaus.«
Durch die geöffnete Tür der Loggia fielen Sonnenstrahlen. Cinderella bestaunte den kleinen Balkon, der den Blick aufs Meer freigab. Ein Panorama, das unbezahlbar erschien. Ein dunkler Gedanke durchkreuzte ihre fröhliche Stimmung. Was, wenn die Miete zu hoch wäre? Wenn sie sich diesen Ausblick nicht leisten könnte? Etwas betrübt wandte sie sich ab.
»Die Küche ist knapp zehn Jahre alt, aber noch völlig intakt.« Elsbeth Schmiedel öffnete die Kühlschranktür. »Und hier haben Sie noch ein kleines Fach für Gefriergut.«
Cinderella nickte. »Ja, die Wohnung wäre wirklich perfekt für mich und Tommy.«
»Das freut mich. Dann steht einem Vertrag ja nichts im Wege.«
Cinderella atmete tief ein.
Gleich wird dieser Traum platzen.
Ihre finanzielle Lage würde es nicht zulassen. Wieauch? Selbst in ihrem neuen Job konnte sie nicht so viel verdienen, dass es für diesen Wohntraum reichte.
»In welcher Höhe beläuft sich die Miete?«, fragte sie bewusst beiläufig, während sie vom Wohnbereich ins Nebenzimmer wechselte.
Elsbeth Schmiedel folgte ihr. »Die Vormieterin …, Gott bewahre ihre gute Seele, hat einen monatlichen Mietzins von achthundertdreiundfünfzig Euro gezahlt.«
»Ah ja.« Tommys Planschgeräusche zügelten Cinderellas Schock ein wenig.
Ich wusste es! Unbezahlbar.
Sie überlegte, wie sie es der netten alten Dame sagen sollte. Und auch ihrem Sohn, der sich mit dem Piratenmädchen hörbar amüsierte. Ihr Blick fiel auf eine altertümliche Nähmaschine. »Ist das etwa eine Singer?«
Elsbeth Schmiedel zuckte zusammen. »Ja, aber ich kann dieses monströse Gerät abholen lassen. Kein Problem.«
»Nein, bloß nicht! Diese Maschine ist beste Handarbeit, nicht zu bezahlen, wissen Sie.« Ehrfürchtig fuhr Cinderella mit ihrer Hand über das in die Jahre gekommene Metall.
Wunderschön. Genauso wie Großmutters Nähmaschine mit Fußtritt.
Das Edelstück fühlte sich kalt an. Sie schloss die Augen und dachte an früher, an ihre Großmutter, wie sie an ihrer Nähmaschine saß. Und plötzlich konnte sie es hören, das Rattern der Nadel, die durch festen Stoff glitt. Zu gerne hatte sie am Fuße von Oma Trautchen gesessen und ihr beim Nähen zugesehen. Manchmal schnell, manchmal langsam wippte der gemusterte Stahltritt hin und her.
»Können Sie etwa nähen?«, unterbrach Elsbeth Schmiedel ihre Erinnerungen.
Cinderella schmunzelte. »Meine Großmutter hat es mir beigebracht, an genauso einer Maschine.«
»Tatsächlich? Das ist heutzutage ein kleines Vermögen wert.«
»Was? Nähen?«
»Ja. Sie glauben gar nicht, was meine Nichte für ihr Brautkleid zahlen musste. Maßgeschneidert und mit Perlen bestückt, hatte es im Nu den Preis eines Kleinwagens erreicht.«
Da war sie, die Chance, auf die Cinderella gehofft hatte. Eine Möglichkeit, ihr Einkommen aufzubessern und sich dieses Apartment leisten zu können. »Denken Sie, ich könnte damit Geld verdienen? Mit Nähen?«
Die grazile Seniorin lachte auf. »Ja, sicher können Sie das.«
»Aber ich kenne niemanden auf Sylt. Weiß nicht, wie ich auf Menschen treffe, die eine Schneiderin suchen.«
»Ach, Kindchen …« Elsbeth Schmiedel stockte. »Verzeihen Sie mir, dass ich Sie so nenne. Aber Sie erinnern mich so sehr an meine Tochter. Ein wahrer Engel mit blonden Locken.« Sie zückte
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