Cinderella auf Sylt - Bieling, E: Cinderella auf Sylt
»Tausend Dank, Frau Schmiedel. Ich kann es noch gar nicht glauben.«
»Nichts zu danken. Die Freude ist ganz auf meiner Seite. Eine verantwortungsbewusste Mieterin zu finden ist ja heutzutage nicht mehr so einfach.«
»Und die Kaution? Kann ich die vielleicht in Raten irgendwie …«
»Nun machen Sie sich da mal keine Sorgen«, unterbrach Elsbeth Schmiedel. »Die können Sie zahlen, wie es Ihnen möglich ist. Oder aber …« Sie goss den restlichen Inhalt der Teekanne in Cinderellas Tasse. »Ach was, dafür haben Sie gewiss keine Zeit.«
»Danke. Wofür soll ich keine Zeit haben?«
»Ach je. Ich dachte da an ein Kleid für meine Tochter, etwas ganz Besonderes. Aber das würde bestimmt zu viel Aufwand bedeuten.«
»Aber nein! Bitte erzählen Sie doch mehr davon.« Cinderella griff nach den gealterten Händen von Elsbeth Schmiedel, die zittrig auf dem Tisch ruhten. »Ich bin genau die Richtige für besondere Kleider.«
Ein kurzes Lächeln huschte über die runzeligen Wangen der Vermieterin. »Ein langes weißes Kleid mit Schleppe. Aus purer Seide, verziert mit Spitze von feinster Qualität. Und es soll bestückt sein mit Perlen und edlem Gestein.«
»Ein Prinzessinnenkleid«, entfuhr es Cinderella.
»Ja, Kindchen. Ein ganz besonderes eben.« In den Augen von Elsbeth Schmiedel sammelten sich Tränen. »Aber dieses Kleid existiert nur in meinem Kopf. Ein Hirngespinst also.«
»Nein! Ganz und gar nicht.« Auch Cinderella kämpfte nun mit Tränen, wie sie die alte Frau so ansah. »Es existiert auch in meinem Kopf. Und wenn Sie erlauben, dann nähe ich dieses wundervolle Kleid.«
»Denken Sie wirklich …?«
»Ja!«
»Was soll ich sagen? Sie haben mich überzeugt.«
»Das freut mich. Ihre Tochter wird bildhübsch darin aussehen.«
Elsbeth Schmiedel erhob sich. »Ich werde Sie noch begleiten. Muss sowieso den Plastikabfall hinausbringen.«
»Aber den kann ich doch mitnehmen«, bot Cinderella an.
»Sie haben schon genug Arbeit, so alleine mit Kind. Außerdem kann ich Ihnen dabei gleich mal den Fahrradkeller zeigen.«
Auf vergangenen Spuren
Die Tage, an denen es wieder galt, ohne Pause durchzuarbeiten, rückten näher. Schon bald würde Inge Lohmann aus ihrem Urlaub zurückkehren. Cinderella wrang das Putztuch aus und wischte über die Bettkante von Zimmer 307. Noch zwei Tage, dann hatte sie Abstand – vom Hotel und der gefürchteten Miss Marple. Ihre Gedanken kreisten um das Apartment. Zwei Zimmer, offene Küche und Luxusbad. Sie konnte es immer noch nicht glauben.
»Kneif mich mal«, forderte sie ihre Kollegin Merle auf, die eben mit Staubsaugen fertig geworden war. Mit ihr war die Arbeit wesentlich entspannter als mit Inge Lohmann.
»Was?«
»Du sollst mich kneifen.«
»Weshalb?«
»Ach, Merle, ich kann das alles nicht glauben. Diese Wohnung … Also kneif mich.«
Merle Rosch kicherte verlegen. »Soll ich wirklich?« Behutsam kniff sie Cinderella in den Oberarm. »Und? Glaubst du es jetzt?«
»Ich weiß nicht. Es ist alles so unglaublich schön.«
»Und du willst dann auch noch Kleider nähen?«
Ja, das muss ich. Ich will Tommy doch was bieten können, ihm ein Fahrrad zu Weihnachten schenken.«
Merle Rosch schüttelte den Kopf. »Du bist verrückt. Noch nebenbei arbeiten …«
»Ich schaffe das.«
»Wann ziehst du um?«
»Übermorgen, wenn ich frei habe …«
»… und die Lohmann noch diktatorischer als zuvor wiederkommt«, prophezeite Merle.
»Erinnere mich bloß daran nicht.« Cinderella griff den Papierkorb unterhalb des Schreibtisches und blickte hinein. »Hm …, zerrissene Kontoauszüge, ein Pralinenkarton … Wer das wohl hier hineingeworfen hat?«
Merle lachte. »Fang du nicht auch noch damit an. Das Lohmann-Syndrom ist eine ernst zu nehmende Erkrankung.«
Cinderella wurde plötzlich trübsinnig. Sie starrte in den Eimer in ihrer Hand.
Verdammt; mein Girokonto. Das habe ich ja komplett vergessen.
»He, was ist los? Hast du einen Geist gesehen?«, witzelte Merle.
»Mein Konto … ich muss da was klären … Am besten sofort.«
Cinderella klopfte gegen die Tür des Personalbüros und öffnete sie einen Spalt. Gabriele Meinert winkte sie herein. »Kann ich Ihnen helfen?«
»Ich …«, begann Cinderella, wurde jedoch vom Klingeln des Telefons unterbrochen.
Die Personalleiterin griff nach dem Hörer.
»Burghotel Sylter Sand, Meinert am Apparat.« Cinderella setzte sich ihr gegenüber. »Hm …, verstehe Herr Wegener. Ich werde mich umgehend darum kümmern«, versicherte
Weitere Kostenlose Bücher