Cinderella auf Sylt - Bieling, E: Cinderella auf Sylt
Mama, was mir der Major gezeigt hat.« Er rutschte kopfüber an der wackeligen Überführung hinunter und verharrte. »Siehst du mich?«, rief er.
»Na ja, ein bisschen schon.«
»Aber auch nur weil Sie wissen, wo der Soldat 003 steckt«, verteidigte ihn der Major.
»Soldat 003?« Cinderella kicherte.
»Ja. Ein tapferer Minisoldat, der soeben die Lehre der Tarnung erfolgreich absolviert hat. Denn gut getarnt …«
»Ist halb gewonnen«, rief Tommy vom Spielplatz herüber. Er hüpfte in den Sand und schlug die Hand zum Soldatengruß an den Kopf.
»Jawohl, mein Junge. Ein wichtiges Detail im Krieg, das du niemals vergessen darfst.«
»Ja, Sir.«
Cinderella kicherte unaufhörlich weiter. Ihr Sohn hatte tatsächlich seine Arme, Beine und das Gesicht samt Basecap mit Tarnfarbe beschmiert. Ähnlich wie der Major mittags. Sogar an die Musterung des Holzes hatte er gedacht und einen Ast in Kreisform quer übers Auge gemalt. »Auf Ideen kommst du.« Sie lachte und winkte Tommy heran. »Ich hoffe nur, dieses Zeugs geht auch wieder ab.«
»Klar, Mama. Und weißt du was? Der Major bringt mir kämpfen bei. So wie die Ninjas im Fernsehen.« Er sprang in die Luft, stieß einen Kampfschrei aus und fuchtelte mit seinen Händen umher. »Siehst du, Mama. Dann muss ich nie wieder vorm dicken Roland weglaufen.«
»Und nie wieder Leute in den Tümpel schubsen«, komplettierte Cinderella. Sie lehnte sich entspannt zurück und genoss den Anblick ihres herumtobenden Sohnes.
Der Major blickte sie fragend an. »Soldat 003 schubst Leute in Tümpel?«
»Ja, die Frau des Hotelchefs.«
»So, ein wählerischer Bursche also.«
Sie kicherte erneut. »Weshalb 003?«
»Der kleine Rekrut verriet mir ihre Zimmernummer. Für den Fall, dass Sie nicht gekommen wären.«
»Ah ja.«
»Kein dauerhaftes Zuhause, hoffe ich?«
»Nein. Ich werde eine Wohnung suchen, für mich und Tommy.«
»Und der Krabbenburschenpapa?«
Sie seufzte. »Ach, wissen Sie, dass ist eine lange Geschichte.«
Major Schulze nickte. »Verstehe. Einen geschichtlichen Lebensvorgang, der nicht mehr von Bedeutung ist, sollte man hinter sich lassen. Und falls es Ihnen genehm ist, würde ich den kleinen Soldaten morgen sechzehn Uhr abholen und mit ihm hier draußen ein wenig trainieren.«
Cinderella lächelte. »Ich glaube, das wird Tommy gefallen.«
»Natürlich bedarf es Ihres Einverständnisses gegenüber der werten Frau Michelson.«
»Ich werde es ihr sagen. Danke, Major Schulze.«
Er stand auf und zitierte Tommy heran. »Soldat, ich verabschiedemich und werde dich morgen Nachmittag zur Kampfübung abholen. Und bis dahin schubst du keine Zivilisten in Tümpel.«
»Ja, Sir.«
»Rühren und Wegtreten.«
Ein Stück vom Glück
Zwei Wochen später …
Cinderella beugte sich herab und schnürte ihre Turnschuhe fest. Das Wetter schien perfekt für einen Inselausflug, zumal sie ein wichtiges Ziel hatte. Ein Apartment, möbliert und in Strandnähe, das sie sich unbedingt ansehen wollte. Ein Glückstreffer auf Sylt, meinte Major Schulze. Er hatte ihr einen Schnellkurs über abzockende Immobilienmakler erteilt. Am liebsten wäre er mitgegangen, wenn ihm Cinderella nicht versichert hätte, dass es sich beim Vermieter um eine ältere Dame handelt – eine Freundin des Hausmeisters. Der Major blieb dennoch skeptisch. Alte Weiber seien letztendlich die schlimmsten, meinte er und kniff ein Auge zusammen. Wachsamkeit wäre da allerhöchstes Gebot. Und auch Tommy bläute er ein, wo man versteckte Mängel in augenscheinlich intakten Wohnräumen finden konnte. Cinderella versprach ihm, auf alles zu achten. Und sie war fest entschlossen, ihre Zukunft selbst in die Hand zu nehmen. Immerhin lebte sie schon ganze sechzehn Tage auf der Insel. Lange genug, um sich den Gepflogenheiten anzupassen. Also ging sie zum Fahrradverleih, einige Meter vom Hotel entfernt. Die meisten Sylter traten der Umwelt zuliebe in die Pedale. Fünfzehn Euro, inklusive Versicherung pro Tag, klangen für sie nicht gerade wie ein Sonderangebot. Aber wenn es der nette Mann im Rennradtrikot doch sagte, würde es wohl stimmen. Dafür durfte sie wählen und bekam den Kindersattel als Bonus obendrauf. Cinderella entschied sich für ein dunkelviolettes Rad. Ein schönes Teil,wie sie fand. Vielleicht würde sie es eines Tages sogar kaufen. Aber erst einmal musste sie eine Bleibe finden – ein Zuhause für Tommy und sich. Gekonnt flocht sie ihr Haar zu einem Zopf und äugte in den Rückspiegel des Drahtesels. »Na, wie
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