Cinderella auf Sylt - Bieling, E: Cinderella auf Sylt
ergreift und mein saftloses Ich in deine Arme trägt
.
Immer und immer wieder huschte das herbstliche Gedicht ihr durch den Kopf. Moritz sollte es unbedingt lesen. Geschickt platzierte sie den Zettel neben das Bonsai-Bäumchen, das Moritz, jedes Mal wenn er kam, bewunderte.
Ach Moritz …
Sie hatte ihn in kurzer Zeit lieb gewonnen. Seine rehbraunen Augen, die Art, wie er lächelte, alles an ihm faszinierte sie. Seit Moritz da war, schien alles leichter zu sein. Sogar die Schichten mit Inge Lohmann
.
Cinderella beugte sich über das Fensterbrett und blickte die Straße entlang. Gleich würde er auf seinem blauen Rennrad die Promenade entlang geradelt kommen.
»Mama, das Wasser schäumt über.«
Die Spaghetti!
Cinderella eilte zum Herd und riss den Topf in die Höhe. Ein Großteil des Wassers befand sich aber schon zwischen den Herdplatten. »Gib mir mal den Lappen.«
Tommy gehorchte aufs Wort. »Soll ich helfen?«, fragte er.
»Nein. Das ist zu heiß, da kannst du nicht wischen.«
Cinderella füllte Wasser nach und setzte den Topf zurück auf die Kochstelle. Die Tomatensoße hatte sie einen Tag zuvor gemacht, streng nach dem Rezept ihrer Großmutter. Moritz wusste ihre Kochkünste zu schätzen. Er hingegen konnte nicht so gut kochen, jedoch fantastische Longdrinks zubereiten, alkoholfrei mit aufgesteckten Früchten aus derDose. Noch eine Minute, dann waren die Nudeln zum Abgießen bereit. Tommy stand da und beobachtete jeden ihrer Handgriffe. »Kann ich eine probieren?«
»Nein.«
»Nur kosten, ob die gut sind.«
»Warte, bis sie auf dem Teller liegen.«
Es klingelte. »Das ist Moritz!« Freudig rannte Tommy zur Tür.
»Ja, öffne ihm. Ich mach schnell das Essen fertig.«
»Mama, das ist nicht Moritz, das ist Papa.«
»Wer?« Cinderella ließ das Sieb mit den Nudeln ins Spülbecken fallen.
Mike? Was will der denn auf Sylt?
»Mach die Tür zu, Tommy!«, rief sie panisch.
»Cindy, bitte. Ich will mit dir reden«, sagte Mike, der bereits eingetreten war.
Cinderella lief entsetzt in den Flur. »Was willst du hier? Verschwinde gleich wieder.«
»Es tut mir leid. Ehrlich. Bitte lass es mich erklären.«
»Nein! Ich habe deine Lügen satt. Verschwinde, Mike. Sofort!«
»Geht nicht, ich bin pleite, ich brauche deine Hilfe.«
»Ist mir egal. Geh zu Sandra.«
»Das ist vorbei, glaub mir, Cindy. Sie hat mich beschissen! Hat mich um die gesamte Gage geprellt und ist mit dem Veranstalter abgezogen.«
Cinderella blickte zur Uhr. Was sollte sie Moritz erzählen? Musste sie sich überhaupt vor irgendwem rechtfertigen? Immerhin war sie Single, eine alleinerziehende Mutter, die gerade anfing, ihr Leben zu ordnen. Und Moritz war mittendrin aufgetaucht, hineingestolpert in ihr chaotisches Dasein und hatte ihr mehr als nur den Frieden mit Tommy ins Haus zurückgebracht.
»Bitte, Mike, geh!«
»Aber Cindy …«
»Ich heiße Cinderella«, fiel sie ihm ins Wort.
Mike blickte sie erstaunt an. »Du hast diesen Namen doch noch nie gemocht.«
»Stimmt! Aber jetzt bin ich eine andere Frau. Also geh und komm nie wieder.«
»Tommy ist mein Sohn«, erwiderte Mike. »Ich habe ein Recht, ihn zu besuchen.«
Cinderella schnappte nach Luft. »Du hast ein Recht …?« In ihren Augen spiegelte sich die Enttäuschung der letzten Monate wieder. »Du hast uns einfach sitzenlassen! Ohne Geld! Du hast mein Konto überzogen und noch niemals einen Cent Unterhalt gezahlt. Du scherst dich doch einen Dreck um deinen Sohn. Also verschwinde aus meinem Leben!«
»Mama?« Tommy rutschte hinter Cinderella. »Ich will nicht, dass ihr euch streitet.«
Sie hockte sich zu ihm. »Tun wir doch gar nicht! Komm her, kleiner Mann.« Dabei schwächte sie ihren Tonfall ab und warf Mike einen hasserfüllten Blick zu.
Tommy schmiegte sich fest an seine Mutter. »Isst Papa auch mit?« Cinderella schluckte bei der Vorstellung an ein Vier Personen-Menü bei Kerzenlicht. »Ich glaube eher nicht.«
Erneut klingelte es an der Tür.
»Tut mir leid, aber ich erwarte Besuch«, sagte Cinderella barsch und ging zur Tür.
Moritz kam die Treppe hochgerannt. »Sorry, ich hatte einen platten Reifen. Musste die letzten Kilometer schieben«, japste er, völlig außer Puste. Auf seiner Stirn waren kleine Schweißperlen zu erkennen.
»Nicht so schlimm. Ich bin gewissermaßen … na ja, auch abgehalten worden.«
»Moritz, Moritz«, rief Tommy und sprang an seinen Hals.
Moritz beugte sich nach vorne und schaukelte Tommy hin und her.
»He Sportsfreund, hast du schon
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