Cinderella auf Sylt - Bieling, E: Cinderella auf Sylt
dir an. Ein braver Flugzeugbauer ohne die geringste Spur von Rebellion.«
»Tut mir leid, ich war unfair! Aber meine Stiefmutter …«
Moritz drückte seinen Zeigefinger sachte gegen ihre Lippen. »Pst … Ich weiß.« Dann küsste er ihre Hand. »Dieser Tag ist unser Tag.«
»Ich hab Hunger«, beschwerte sich Tommy. Zwischenzeitlich hatte er drei Flugobjekte vor sich liegen, die nur darauf warteten, auf einem benachbarten Teller zu landen. Neugierig sah er sich um.
»Wage es ja nicht«, ermahnte ihn Cinderella. Ihr Suppenklecks war von einer dickeren Scheibe Brot umhüllt. »Magst du einen Löffel abhaben?«
»Ich will das Brot.«
»Da musst du warten, bis ich fertig bin.«
»Warum?«
»Weil darin meine Suppe gebettet ist.«
Er stand auf und betrachtete die magere Mahlzeit genauer. »Die Suppe schläft im Brot?«
»Ja, gewissermaßen.«
Tommy stupste seine Mutter an. »Guck mal, Tante Schmiedel mit Joseph.«
Moritz ließ seine Gabel fallen. »Ups, äh, wer?«
»Meine Vermieterin mit Joseph, einem gemeinsamen Freund.« Cinderella winkte ihnen zu. »Hallo.«
Elsbeth Schmiedel winkte zurück. »Huhu«, rief sie. Fröhlich gestimmt kamen beide näher. »Wie schön, Sie alle drei hier zu treffen.«
Cinderella erhob sich. »Ja, ein netter Zufall. Darf ich vorstellen, mein Freund Moritz.«
»Elsbeth Schmiedel, sehr erfreut. Sie sind also der junge Mann, von dem ich bisher soviel Gutes gehört habe.«
Moritz erhob sich ebenfalls. Sein Gesicht war leicht errötet, als er die Hand der alten Dame schüttelte. »Ja, der bin ich wohl.«
Joseph verharrte zögerlich. »Möllemann, angenehm«, sagte er ungewöhnlich distanziert und vom Tisch abgewandt. »Kommst du, Elsbeth? Der Kellner wartet.«
»Nun hetz mal nicht so. Du weißt doch, ich bin keine zwanzig mehr«, witzelte Elsbeth Schmiedel. Dann drehte sie sich wieder Moritz zu. »Mir ist, als würde ich Sie kennen. Helfen Sie einer senilen Rentnerin auf die Sprünge?«
Moritz wurde schlagartig blass. »Tut mir leid«, sagte er schulterzuckend. »Ich wüsste nicht …«
»Das Alter halt«, fuhr Elsbeth Schmiedel lachend dazwischen. »Na dann, einen schönen Abend noch. Und ich hoffe, wir sehen uns bald mal wieder zu einem Kaffeekränzchen bei mir.«
»Ganz sicher«, erwiderte Moritz.
»Ihnen auch einen schönen Abend«, rief Cinderella hinterher. Am liebsten hätte sie der liebenswürdigen Seniorin vom Kleid erzählt und den wenigen Perlen bis zur Vollendung. Aber Cinderella schwieg. Es sollte eine Überraschung werden, die Elsbeth Schmiedel zu Tränen rührten und ihre Tochter zur schönsten Braut aller Zeiten machen würde.
Nachdem sich Tommy über das Kürbiskernbrot hergemacht hatte, war der Tisch voller Krümel. Moritz saß stumm vor seinem Teller und starrte die Austern an.
»Bist du etwa schon satt?«, fragte Cinderella grinsend.
Er nickte.
»Von einer Auster und drei grünen Blättern? Wow! Du bist ja ein sparsamer Prinz.«
»Ha ha! Nein, mir ist irgendwie der Appetit vergangen.« Er füllte sein Weinglas nach. »Du auch?«
Cinderella lachte. »Lieber nicht. Ich muss noch dreihundert Perlen vernähen.«
Tommy fläzte sich am Tisch und rollte Brotkrümel zwischen seinen Finger. »Ein Fußball«, sagte er teilnahmslos und kullerte die Sauerteigmurmel zu Moritz, der dem Musiker zuprostete. »Zum Wohl«, rief er. Der Akkordeonspieler nickte dankend, erhob sein Glas und trällerte »Seemann, lass das Träumen« ins Mikrofon.
Gott! Lass den Kellner die Rechnung bringen.
Cinderella blickte sich hilfesuchend um, konnte ihn aber nicht entdecken.
Moritz stand auf. »Ich geh mal zur Toilette. Falls der Kellner kommt …«
»Soll er die Rechnung bringen«, beendete Cinderella seinen Satz.
Moritz trat herum und hockte sich vor sie. »Weißt du,dass du wunderschön bist? Aber manchmal auch ganz schön frech«, sagte er lächelnd und küsste ihre Nasenspitze.
»Ich muss auch mal«, sagte Tommy, hopste vom Stuhl und rannte los.
»Moment, kleiner Mann«, rief Moritz hinterher. »Vorher leerst du deine Hosentaschen. Ich habe keine Lust, den Spielkram aus dem Klo zu fischen.«
Cinderella kicherte. Sie musste an Lumpi denken, der kopfüber im Abfluss gesteckt hatte. Brav legte Tommy das zweite Funkgerät, drei Kaubonbons und seinen verzauberten Holzknopf auf den Tisch. Dann gingen beide, sich an der Hand haltend, hinaus. Cinderella blickte hinüber zum Tisch von Elsbeth und Joseph, die gerade im Begriff waren zu gehen. Sie nahm das kaputte Funkgerät und
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