Cinderella und der Wüstenprinz (Julia) (German Edition)
Sitzhaltung. Fasziniert beobachtete er seine Frau, die mit zügigen, sicheren Bewegungen erste Kohlestriche aufs Papier setzte. Er dachte an die Skizzen von ihrer Schwester Izzy. Abgesehen vom Motiv hatten ihn die Kohlezeichnungen durchaus beeindruckt, und sie bewiesen, dass die Künstlerin Talent hatte.
„Hast du jemals professionellen Unterricht in Malerei gehabt?“
„Nie.“
„Warum nicht?“
„Dafür war kein Geld da.“
„Ich dachte, dein Vater hätte ein Vermögen gemacht.“
„Nicht nur eins, aber er hat sie auch alle wieder verloren. Dazu kamen noch die Alimente, die er zahlen musste.“
„Seine Vorliebe fürs weibliche Geschlecht ist tatsächlich kein Geheimnis.“
Sie lachte spröde. „Das ist die Untertreibung des Jahrhunderts würde ich sagen! Außerdem ist er berühmt für seine großen Gesten und das Bestreben, schnelles Geld verdienen zu wollen, was dauernd zu Ebbe in der Familienkasse geführt hat. Alles, was wir besaßen, gehörte uns immer nur vorübergehend.“
Hassans Blick umwölkte sich. „Verstehe.“
„Tust du das wirklich?“, murmelte Ella und legte einen Finger auf seine Lippen, als er antworten wollte. Als Scheich von Kashamak hatte er sich bestimmt noch nie im Leben Gedanken wegen der überfälligen Gasrechnung oder eines leeren Kühlschranks machen müssen.
Eine Weile arbeitete sie schweigend, wobei Hassan die Gelegenheit nutzte, seine Frau zu beobachten und zu bewundern. Ihre Bewegungen waren ebenso graziös wie effizient, und die Ruhe in dem lichtdurchfluteten Atelier legte sich wohltuend auf seine gereizten Nerven. Nichts war zu hören als das leise Kratzen der Kohle auf dem Papier und dem melodischen Gesang der Vögel draußen vor dem Fenster.
Doch unter der ruhigen Oberfläche ihres gemeinsamen Lebens spürte Hassan die lastende Unsicherheit. Der Faktor Zeit war wie eine tickende Zeitbombe. Sie beide warteten auf etwas, dass eine entscheidende Veränderung in ihrem Leben bewirken würde, die sie sich jetzt noch gar nicht vorstellen konnten. Und ausmalen wollten …
Hassan hatte Ella mehrfach dabei beobachtet, wie sie mit träumerischem Lächeln ihren runden Leib streichelte oder mit der Fingerspitze kleine Kreise um den Bauchnabel zeichnete, als verbinde sie dieses Ritual mit dem Kind in ihrem Bauch. Es machte ihn eifersüchtig, weil er ahnte, dass es dieses Band zwischen ihm und seiner Mutter nie gegeben hatte. Hätte sie ihn und seinen Bruder sonst verlassen können?
„Hassan, hör auf, die Stirn zu runzeln.“
„Das tue ich doch gar nicht.“
„Oh doch! Ich …“ Ella brach ab, als sie den Schmerz auf seinen dunklen Zügen sah. „Was ist mit dir?“, fragte sie sanft. „Was macht dich nur so traurig?“
Obwohl er Mitgefühl und Verständnis in ihrem Blick las, war sein erster Impuls, sie zurückzuweisen. Wie alle Frauen versuchte sie, in seiner Vergangenheit zu graben. Doch Ella war anders und die Mutter seines Kindes. War es nicht sogar besser, ihr die Wahrheit zu sagen? Vielleicht verstand sie dann endlich, dass er ihr niemals die Liebe schenken könnte, die sie als seine Gattin verdiente und sich möglicherweise sogar ersehnte.
„Ich dachte gerade an meine Mutter.“
Ein neuer unbekannter Ton in seiner Stimme ließ sie schaudern. „Du hast mir nie von ihr erzählt.“
„Nein. Und hast du dich gefragt, warum nicht?“
„Natürlich habe ich das“, erwiderte sie offen. Hassans Mund verzog sich zu einer schmalen Linie. Ella konnte förmlich sehen, wie er sich innerlich einen Ruck geben musste.
„Wahrscheinlich ist es wirklich besser, wenn ich dir von ihr erzähle“, sagte er grimmig. „Dann verstehst du vielleicht auch, warum ich … na ja, eben bin, wie ich bin.“
Etwas in seiner Stimme und seinem Blick alarmierten sie. „Wenn es dir schwerfällt, musst du es mir nicht sagen.“
Doch Hassan schüttelte nur unwillig den Kopf. „Meine Mutter war eine Prinzessin aus dem benachbarten Bakamurat“, begann er, „und sie war meinem Vater seit Kindheitstagen versprochen, wie es damals üblich war. Sie heirateten, kaum dass sie achtzehn war, und neun Monate später kam ich zur Welt. Zwei Jahre später wurde Kamal geboren.“
„Aber die Ehe verlief nicht glücklich?“, fragte Ella und biss sich auf die Lippe, als sie sah, wie sich seine Miene verdüsterte. „Verzeih, was für eine dumme Frage, da deine Mutter euch verlassen hat.“
„Damals gab es noch keine so unrealistischen Erwartungen, was Glück betraf, wie es heute der Fall
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