Cinderella undercover
ausgesucht hatte.
Kurz bevor ich ganz in Trauer, Wut und Selbstmitleid zu versinken drohte, klopfte es leise an der Tür.
Es war Paps, der mir Gute Nacht sagen wollte.
»Und alles in Ordnung, Cynni-Maus?«, fragte er und setzte sich neben mich auf die Bettkante.
»Ja, alles gut«, antwortete ich in die Dunkelheit hinein, obwohl ich mich gar nicht so fühlte.
Es war genau so, wie Paule es vorhin gesagt hatte: Im Grunde hatte ich noch überhaupt nicht realisiert, was in den letzten Monaten alles mit mir passiert war: Mamas Tod, die Trauerphase, dann Stephanie und ihre Töchter, der plötzliche Umzug, das neue Viertel… keine Ahnung, weshalb Paps so ein extremes Tempo vorlegte. Sonst war das nicht so seine Art. Doch wenigstens etwas war so wie immer: Ich konnte weiter auf mein altes Gymnasium gehen und hatte meine Freunde.
Als ich am nächsten Morgen die Augen aufschlug und in die Sonne blinzelte, wusste ich zunächst nicht, wo ich war.
Da ich noch keine Vorhänge hatte, hatte das Tageslicht mich für meine Verhältnisse viel zu früh geweckt. Murrend rollte ich mich auf die andere Seite. Es duftete nach Kaffee und aus dem Flur drangen ungewohnte Geräusche. War das etwa Schlagermusik?
Ruckartig setzte ich mich im Bett auf und spitzte die Ohren. Das durfte doch nicht wahr sein! Hatte da etwa jemand Alsterradio angemacht? Genervt zog ich mir die Decke über den Kopf und beschloss, mir bei nächster Gelegenheit Ohrstöpsel zu kaufen. Aber auch die hätten wahrscheinlich nicht geholfen, da Paps offenbar beschlossen hatte, den Samstagmorgen mit einem gemeinsamen Familienfrühstück zu starten. Ohne anzuklopfen, stand er auf einmal vor mir und rüttelte sanft an meiner Schulter. »Es ist acht Uhr, Zeit fürs Frühstück«, kam es mir gut gelaunt entgegen und ich glaubte zuerst, ich hätte mich verhört. Seit wann wurde denn bei uns am Wochenende zu einer bestimmten Uhrzeit gefrühstückt? Und noch dazu so früh?
»Ich hab schon Brötchen und Schokocroissants geholt«, teilte Paps mir mit, als erwarte er meinen Beifall. Dabei duftete er wieder nach dem Aftershave, das ich nicht leiden konnte.
Wie sich herausgestellt hatte, war es ein Geschenk dieser Frau gewesen und damit natürlich über jede Form von Kritik erhaben.
»Nun komm schon, mein kleiner Morgenmüffel, raus aus den Federn. Es ist so ein schöner Tag.« Ich musste grinsen, weil Paps mich »Müffel« genannt hatte, und gab ein zustimmendes Knurren von mir.
Nachdem ich mir die Zähne geputzt, das Gesicht gewaschen und meinen Bademantel angezogen hatte, schlurfte ich in die Küche. Doch dort war weit und breit keine Spur meiner neuen Familie zu entdecken . Ich war kurz irritiert, bis mir einfiel, dass wir ja jetzt neuerdings ein Esszimmer hatten.
Und richtig: Alle vier waren um den langen (neuen!) Tisch versammelt und schauten mich erwartungsvoll an. Ich murmelte ein knappes »Moin« und ließ mich auf den freien Stuhl neben Paps fallen. Stephanie räusperte sich auffällig.
»Hast du dich erkältet?«, fragte ich und angelte mir ein Brötchen aus dem Brotkorb. Demonstrativ räusperte sich Stephanie ein zweites Mal, antwortete aber nicht auf meine Frage.
Das veranlasste mich, aufzusehen und die ganze Szenerie genauer in Augenschein zu nehmen. Es dauerte einen Moment, bis mein Gehirn den Fehler im Suchbild identifizierte: Bis auf mich waren alle tiptop gestylt und komplett angezogen.
Offenbar herrschten im Hause Wolters nicht nur feste Regeln für Essenszeiten, sondern auch eine Kleiderordnung für die gemeinsamen Mahlzeiten.
»Äh, ich zieh mich dann mal eben an«, sagte ich kleinlaut und wollte gerade aufstehen, als mein Vater mich sanft auf den Stuhl zurückdrückte. »Morgen reicht auch«, sagte er und gab mir ungefragt die Butter. Stephanie beobachtete mich mit zusammengekniffenen Augen, als ich mein Brötchen halbierte, und biss dann demonstrativ in ihr Knäckebrot. Kristen und Felicia schienen auch noch nicht ganz wach zu sein. Stumm und völlig unbeteiligt aß Felicia ihr Müsli mit frischen Früchten und Quark, während Kristen sich mit Gurkenschnitzen, einem hart gekochten Ei und einer Kiwi begnügte.
Oh mein Gott, waren die denn alle auf Diät?
»Super, die Himbeermarmelade von Aurelia«, sagte ich betont gut gelaunt und leckte mir die Lippen.
Meine Oma fand zwischen ihren ganzen Kreuzfahrttörns erstaunlicherweise immer noch Zeit, Marmelade und Gelee einzukochen, weil sie wusste, wie sehr ich das liebte.
»Tja, dann lass es dir mal
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