Cinderella undercover
Fingernagelschnipsel und falschen Wimpern. Mir wurde richtig übel, je länger ich über all das nachdachte. Und die Damen rührten natürlich nicht einen Finger, um die Sauerei wieder aufzuräumen. Das bedeutete, ich konnte hinter ihnen herputzen, wenn ich nicht mit einem verdreckten Bad leben wollte. Und das wollte ich nicht.
»Und wo wir gerade dabei sind…«, brüllte ich in Kristens Zimmer, nachdem ich, ohne zu klopfen, die Türe aufgerissen hatte: »Ich bin nicht euer Dienstmädchen! Sobald Paps wieder zurück ist, machen wir einen Putzplan, auch wenn das total spießig ist. Aber ich habe echt keine Lust mehr, euch den ganzen Tag alles hinterherzutragen, nur damit ihr euch eure Frenchnails nicht abbrecht…«
So, jetzt war es raus – und ich fühlte mich besser.
Zumindest ein kleines bisschen.
Die Geschichte mit dem Haushalt und dem Bad war ja noch lange nicht alles, was mich am Zusammenleben mit den Grazien störte, beziehungsweise es mir fast unmöglich machte.
Ja, mittlerweile hatte ich eine neue Bezeichnung für die drei Damen gefunden: Aus diese Frau und meine neue Familie waren im Laufe der letzten Tage die Grazien geworden. Auch wenn dieser neue Name auf den ersten Blick ganz nett klingen mochte, konnte er nicht darüber hinwegtäuschen, dass das Zusammenleben mit diesen eitlen, faulen Mädels die HÖLLE war.
»Dann zieh doch aus, wenn dir das alles nicht passt!«, brüllte nun Kristen – für ihre Verhältnisse ziemlich laut – zurück. Dann schubste sie mich aus ihrem Zimmer, knallte die Tür zu und schloss hinter mir ab. »Ich hatte schließlich auch keinen Bock auf das alles hier…«
Nanu?
Hörte ich da ein Schluchzen?
Nachdenklich ging ich im Flur auf und ab.
Irgendwie war ich völlig überfordert und wünschte mir, dass Paps bald zurückkam. Am besten sofort, bevor das alles hier noch eskalierte.
Jetzt musste ich aber auf alle Fälle erst mal raus an die frische Luft und meinen Kopf ein wenig abkühlen, bevor ich noch irgendetwas tat, das ich hinterher garantiert bereuen würde.
Also schnappte ich mir meine Jacke und meine Tasche und beschloss, dem Viertel den Rücken zu kehren und mir etwas Besonderes zu gönnen: eine Philadelphia-Torte im Café Gnosa.
Also natürlich nur ein Stück, nicht die ganze Torte!
Kurze Zeit später stieg ich am Hauptbahnhof aus der U-Bahn, bog am Schauspielhaus links ab und ging die Lange Reihe hinunter. Diese Straße zählte für mich zum Schönsten und Aufregendsten, was Hamburg neben dem Hafen und der Elbe zu bieten hatte. Hier gab es haufenweise tolle Cafés, Läden, Buchhandlungen, Friseure, Ateliers von jungen Designern, Werkstätten für Kunsthandwerk, Geschäfte mit internationalen Spezialitäten – und das Gnosa mit dem sensationellsten Kuchen- und Zeitschriftenangebot überhaupt.
Da mal wieder fast alle Plätze belegt waren, fragte ich einen Typen, der gerade etwas zeichnete, ob ich mich zu ihm an den Tisch setzen durfte.
Er schaute kurz hoch, musterte mich und lächelte schließlich breit: »Aber natürlich, Liebchen, setz dich!«
Nun stand ich persönlich zwar überhaupt nicht darauf, wenn mir wildfremde Menschen alberne Namen gaben, aber bei ihm störte mich die Anrede aus irgendeinem Grunde überhaupt nicht. Vielleicht lag es daran, dass ich gerade ganz andere Prioritäten hatte. Vor ihm stand nämlich genau das, was ich mir jetzt bestellen wollte: eine Schale Milchkaffee und die Philadelphia-Torte.
»Neugierig bist du wohl nicht!«, stellte der Typ grinsend fest, als ich mir schon beim Setzen halb den Hals verrenkte, um einen Blick auf seine Skizze zu erhaschen. »Oh, äh, sorry«, stotterte ich und wurde knallrot.
»Würdest du so etwas tragen?«, fragte er lächelnd und schob mir den Block rüber. Aha, hier hatten wir es offenbar mit professionellem Modedesign zu tun.
»Ich steh zwar nicht so auf Kilts und bin außerdem kein Mann, aber ja – das sieht ziemlich lässig aus«, antwortete ich beeindruckt. »Bist du Designer oder zeichnest du so was nur zum Spaß?« Der Typ kramte in der Tasche seines hellen Samtjacketts herum, was mir Zeit gab, ihn unbemerkt etwas genauer zu betrachten. Er hatte eine Glatze, die von einer hellrosa-beige karierten Schiebermütze verdeckt wurde, trug im linken Ohrläppchen ein goldenes Kreuz und im Ausschnitt seines türkisfarbenen Shirts eine Kette mit einer Madonnenfigur als Anhänger.
Wenn das Ganze nicht Teil einer Inszenierung war, war der Typ offenbar ziemlich gläubig.
The Famous GG **
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