Cinderella undercover
Nachdem ich die Tür geöffnet hatte, hörte ich eine Stimme, die mein Herz zum zweiten Mal an diesem Tag hüpfen ließ. »Oma Aurelia!«, schrie ich bereits im Flur, um mich kurz drauf in die Arme meiner heiß geliebten Großmutter zu stürzen.
15.
Am Freitag konnte ich es kaum erwarten, dass die Schule zu Ende war, denn Aurelia hatte versprochen, mich abzuholen. Eigentlich hätte ich ja Mathe-Nachhilfe bei Koi-Karpfen-Tobi gehabt, aber meine Großmutter ging eindeutig vor. Also hatte ich einfach abgesagt. (Ohne Paps davon zu erzählen, hüstel.)
»Da bist du ja, meine Kleine«, rief Aurelia, als ich zusammen mit Louisa die Treppenstufen vor dem Haupteingang herunterkam, und umarmte mich. »Wie sieht es aus? Hast du Hunger?«
»Dumme Frage«, antwortete ich, weil ich eigentlich immer Hunger hatte und nichts mehr liebte, als mit ihr essen zu gehen. Denn eine Aurelia Gräfin zu Waldenburg besuchte natürlich nicht den nächstbesten Italiener um die Ecke, sondern speiste in den nobelsten Lokalen der Stadt. Nachdem wir uns von Louisa verabschiedet hatten, brachte uns ein Taxi zum Hotel Vier Jahreszeiten, wo wir im Restaurant einen Tisch mit Alsterblick bekamen. Oma strahlte, während ich mir etwas zu essen aussuchte. »Hübsch siehst du aus, so erwachsen«, freute sie sich und nippte an ihrem Wasserglas. »Und du wirst Katharina von Tag zu Tag ähnlicher, auch wenn deine Nase eher nach deinem Vater kommt.«
Ich wurde traurig, als sie meine Mutter erwähnte, aber ihr ging es garantiert nicht anders. Was gab es Schrecklicheres, als die eigene Tochter zu Grabe tragen zu müssen. »Da stimmt die Reihenfolge nicht!«, hatte Aurelia auf der Beerdigung gesagt und wütend Richtung Himmel geblickt.
»Wie war’s denn auf See?«, fragte ich, um uns beide auf andere Gedanken zu bringen. Nachdem die Kartoffelsuppe mit Krabben serviert worden war, plauderte Aurelia über die verschiedenen Landgänge, die sie gemacht hatte. Sie berichtete von den Erlebnissen an Bord und den nervtötenden Marotten einiger Passagiere. Beim Erzählen bekam sie immer mehr Farbe im Gesicht. Wann äußert sie sich endlich zu den Grazien?, dachte ich und wartete gespannt auf eine Einschätzung des Abends, an dem meine Großmutter unangemeldet bei uns aufgetaucht war. Ich kannte sie jedoch gut genug, um zu wissen, dass sie während eines schönen Essens grundsätzlich nur harmlosen Smalltalk betrieb und keine wirklich wichtigen Dinge besprach. Nach der Mousse au chocolat war es dann so weit: »So, dann schieß mal los. Wie kommst du mit Stephanie und diesen… diesen Mädchen klar?«
Da es erfahrungsgemäß keinen Sinn hatte, Aurelia etwas vorzumachen, berichtete ich von unserer Zwangs-WG, ohne irgendetwas zu beschönigen. Ich erzählte von Stephanies krampfhaften Bemühungen, aus uns eine richtige Familie zu machen, von den Schlampereien der Schwestern, die sich immer noch kein bisschen Mühe gaben, im Haushalt mitzuhelfen, von den strikten Regeln, der angespannten Atmosphäre und davon, dass Paps mit alldem überfordert zu sein schien.
Er schlief momentan tatsächlich extrem viel.
»So etwas dachte ich mir schon«, seufzte Aurelia und nippte an ihrem Mokka. »Deshalb bin ich auch unangemeldet bei euch reingeschneit, was ja sonst, wie du weißt, nicht so meine Art ist.«
Stimmt. Aurelia war durch und durch eine Grande Dame!
»Ah, ich verstehe«, grinste ich. »Und? Was hat deine Inspektion ergeben?«
»Ich mag La Perla«, antwortete Aurelia und lächelte.
Nun musste ich lachen. Das war ihre diplomatische Art zu sagen, dass sie von den Grazien alles andere als begeistert war. »Aber kannst du mir mal verraten, weshalb ihr keine Haushaltshilfe habt, das würde doch so vieles erleichtern.«
»Stephanie mag es nicht, wenn jemand Fremdes in der Wohnung ist.«
»Hat sie Angst um diese hässlichen Orientteppiche oder um ihre teure Gesichtscreme?«, fragte Aurelia mit einer Mischung aus Belustigung und Ärger in der Stimme.
»Keine Ahnung, was sie für ein Problem hat. Vielleicht will sie mit der Methode auch nur ihre beiden Töchter dazu erziehen, endlich mal im Haushalt mitzuhelfen. Das ist ja an sich keine schlechte Idee, klappt nur leider überhaupt nicht.«
Im Ausredenerfinden waren Kristen und Felicia wirklich Meisterinnen.
Immer musste eine von beiden gerade dringend mal weg (Felicia), hatte sich irgendetwas verstaucht/verrenkt/gequetscht/geprellt (Kristen) oder war gerade einfach nicht in der Stimmung .
Bislang hatte ich meistens nichts
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