Cinderella undercover
Daniel.
Auch wenn ich nach der schweren Grippe immer noch etwas wackelig auf den Beinen und blass um die Nase war, konnte ich es kaum erwarten, ihn zu sehen.
Hoffentlich ist er da!, betete ich und schaute durch das Schaufenster von Petersen & Lachmann. Eine Woche Fieberfantasien und zu viel Zeit zum Grübeln hatten eine fatale Wirkung auf mich gehabt: Jetzt war ich fest entschlossen, aufs Ganze zu gehen und Daniel zu beweisen, dass ich kein mausgraues Aschenputtel war, sondern eine schillernde Persönlichkeit! Um das noch zusätzlich zu betonen, trug ich Paules Plume-Lippenstift. »Habt ihr was über Street-Art da?«, schmetterte ich auch prompt los, kaum dass Daniel (juhu, er war da!) gefragt hatte, ob er mir helfen könnte.
»Na klar, komm mit.«
Also ging ich ihm hinterher und ertappte mich dabei, auf seinen Hintern zu schauen. Hatte ich noch nie zuvor bei einem Jungen gemacht, keine Ahnung, was plötzlich mit mir los war.
»Hier ist ein Bildband von Banksy, hier einer über Street-Art in Hamburg, ein Buch über die Berliner Szene, hier…« Was auch immer Daniel noch sagte, ich bekam es nicht mit. Obwohl ich an seinen Lippen hing wie eine Biene an der Blüte und jedes Wort, jede Silbe, ja jeden einzelnen Buchstaben in mir aufsog wie eine Verdurstende eine eiskalte Cola. »Schau dich einfach um, ich bin sicher, du findest hier das Richtige!«
Äh, hallo.
Wieso drehte Daniel sich jetzt auf einmal einfach weg, als hätte ich mich gerade in Luft aufgelöst?
Und was machte eigentlich diese dumme Kuh von Felicia hier?
Die konnte doch nicht einmal das Wort KUNST buchstabieren.
»Würdest du dich bitte einen Augenblick gedulden, ich war zuerst dran«, zickte ich sie an, fest entschlossen, mich ab sofort nicht mehr unterkriegen zu lassen. Schließlich hatte Daniel gerade mich beraten und sollte seinen Job dann gefälligst auch anständig zu Ende bringen. Im Bistro brachte ich ihm den Kaffee schließlich auch inklusive Milch und Zucker.
»Kennt ihr beiden euch?«, fragte Daniel und sah erstaunt von einer zur anderen. »Wir wohnen zusammen«, antwortete ich eisig und verschränkte die Hände vor meiner Brust.
»Das ist meine Stiefschwester Cynthia. Du müsstest sie eigentlich kennen«, erklärte Felicia, die sich wieder mal extrem aufgebrezelt hatte und sogar einen Pelzkragen trug.
Wenn der echt war, konnte sie nachher ganz schön was erleben!
»Äh, wieso sollte ich das?«, fragte Daniel, nun komplett verwirrt, und kratzte sich verlegen am Kinn.
Erde tu dich auf und verschling mich.
Daniel hat soeben zugegeben, dass er mich noch nie bewusst wahrgenommen hat.
Und das VOR dieser Miss-Universum-Bitch Felicia…
»Vielen Dank für die Beratung, ich komme ein andermal wieder«, stammelte ich und stürmte aus der Buchhandlung, bevor noch irgendetwas anderes passierte, weshalb ich gezwungen war auszuwandern. Als sei der Teufel höchstpersönlich hinter mir her, hechtete ich die Treppenstufen nach oben und hätte dabei beinahe Kristen umgerannt. »Dir scheint’s ja wieder besser zu gehen, wie schön«, flötete sie. Bei dieser Bemerkung brach mir endgültig der Schweiß aus allen Poren. »Tut mir leid, dass ich nicht gestorben bin«, zischte ich sie an und mobilisierte meine letzten Energien, um nach oben zu kommen.
Dort warf ich mich erst mal ächzend auf mein Bett. La Perla kam hinterhergeflogen und setzte sich neben mich. Aus seinen zweifarbigen Augen sah er mich an und gurrte – den Ton einer Taube imitierend – »Rucke di guh, Blut ist im Schuh«. Obwohl ich eigentlich gerade stinksauer auf Kristen war, musste ich doch lachen. Offenbar war der Vogel immer noch auf dem Aschenputtel-Märchen-Trip.
»Kann ich reinkommen? Ich glaube, du hast mich da eben falsch verstanden«, rief Kristen von draußen und klopfte zaghaft an die Tür.
Oh nee, auch das noch!
Widerwillig knurrte ich: »Ja, okay«, und öffnete.
»Es ist wirklich schön, dass es dir wieder besser geht, wir haben uns nämlich alle ein bisschen Sorgen um dich gemacht«, erklärte Kristen, sah sich in meinem Zimmer um und wirkte ziemlich verlegen. »Du hattest hohes Fieber, hast zeitweise fantasiert und wirres Zeug von irgendeinem Daniel erzählt und warst kaum ansprechbar.«
Oh mein Gott, das durfte nicht wahr sein!
Kristen lächelte, als wüsste sie genau, was gerade in meinem Kopf vor sich ging. »Keine Sorge, ich verrate niemandem, dass du in Daniel Petersen verliebt bist. Muss ja keiner wissen. Du hast schließlich auch nicht gepetzt,
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