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Circulus Finalis - Der letzte Kreis

Circulus Finalis - Der letzte Kreis

Titel: Circulus Finalis - Der letzte Kreis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tarek Siddiqui
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Vorwand. Aber die Nebenstraßen und kleinen Fahrradwege, die am Fluss entlang führten, waren kaum zu überblicken. Die Luft war kühl und feucht, in wechselnder Entfernung folgte die Strecke dem Fluss. Der Wind fuhr mir gelegentlich ins Gesicht, meistens kam er jedoch von hinten und gab etwas von seiner Energie an mich weiter. Hier war ich mit Marie gefahren, zu einer Zeit, da uns noch mehr gemeinsam war, als uns trennte, obwohl das Beste bereits vorbei war und nicht wiederkommen würde. Trotz der Befestigung und Kultivierung des Flussbettes hing der Geruch von Altwasser und Moor in der Luft; jenseits der Stadtgrenze behaupteten sich die Reste ehemaliger Auenwälder. An einer alten, gelben Telefonzelle, einsam nahe der Landstraße, hielt ich. Die Tür schwang widerstrebend auf. Von einem Moment auf den nächsten verspürte ich starken Schwindel und meinte zu stürzen, so als sei der Boden zu meinen Füßen weggeklappt. Die Hände flach gegen die schmutzigen Scheiben gepresst wartete ich, bis das Schwächegefühl verging, und wählte dann Maries Nummer. Sie nahm sofort ab.
    „ Kannst du dich erinnern an unsere Herbstspaziergänge am Fluss?“
    Sie sagte lange nichts. Dann:
    „Sie suchen dich. Was machst du nur.“
    Wieder schwiegen wir. Aus dem Hintergrund vermeinte ich plö tzlich ein rhythmisches Schleifen zu hören, kaum wahrnehmbar, vielleicht nur ein Geräusch in der Leitung. Aber es war auch der Rhythmus von Metz’ Schritten, mir ins Gedächtnis eingebrannt von ungezählten Stunden seines unruhigen Umherwanderns. Ich stellte mir vor, er habe sie mit einer halb wahren Geschichte aufgesucht, in der vagen Hoffnung, ich würde mich bei ihr melden.
    Wahrscheinlich tä uschte ich mich. Und doch, plötzlich war mir klar, dass es nichts mehr gab, was ich sagen konnte. Vielleicht hatte ich schon zu viel gesagt. Die Herbstspaziergänge waren vergangen, das Band zwischen uns gelöst. Solange sie mit mir sprach, würde ich das Gefühl haben, sie verstünde mich, und auf ihre Art würde sie sich sogar darum bemühen. Dann würde sie auflegen und Metz oder Lambertus informieren. Sie war Schauspielerin, und mehr als alles in der Welt wollte sie gefallen, auch wenn das Publikum wechselte.
    Ich rä usperte mich und sagte, lächerlich und doch nicht überflüssig:
    „ Das mit uns, das ist vorbei.“
    „ Das mit uns? Was du nicht sagst.“ Sie lachte trocken.
    „ Dass was du denkst und tust eine Bedeutung für mich hat, das ist vorbei. Dass du eine Bedeutung für mich hast. Es ist vorbei.“
    Sie schwieg ein paar Sekunden lang. Ich lauschte auf Metz Schritte, wenn er denn da war, aber es blieb still. Vielleicht war er stehen geblieben. Stattdessen hö rte ich, wie sie die Luft einsog, aber bevor sie ihre Erwiderung loswerden konnte, legte ich auf.
    Wieder aufs Rad. Langsam schritt auch die Dä mmerung fort, die Temperatur sank. Obwohl ich nur mehr ein T-Shirt mit langen Ärmeln und Siads dünne Jacke trug, fehlte es an nichts; die Bewegung wärmte meinen Körper und der Wind kühlte die erhitzte Stirn. Es war ein Dahingleiten durch die beginnende Nacht, durch gleichermaßen vertrautes wie unwirklich fremdes Gebiet. Vom Fluss ging eine Ruhe aus, ein Gefühl des Schutzes, so als könne mir hier nichts geschehen. Alles schien mit mir verbunden, und auf neue Weise kostbar.

    Meine ehemalige Schule lag etwa vier oder fünf Kilometer vom Fluss entfernt. Hier war ich schon in unserem Einsatzgebiet, in meinem alten Revier, und entsprechend unwohl begann ich, mich zu fühlen. Entlang eines Nebenflusses ging es auf Radwegen ein ganzes Stück stadteinwärts, und wieder war mir, als sei ich in der Nähe des Wassers sicher, beschützt vielleicht vom Gelächter der Flussgötter und Nymphen.
    Es war fast vö llig dunkel, als ich die Brücke erreichte, an der ich den Radweg verlassen musste, nur mehr einen knappen Kilometer von der Schule entfernt. Hier hatte gestern die Patientin mit dem Beckenbruch aufgeschrien, als Tann über die Bordsteinkante fuhr. Das war nicht viel mehr als vierundzwanzig Stunden her und doch aus einer anderen Zeit.
    Beim Kreisverkehr, nur mehr drei- oder vierhundert Meter vor der Schule, ü berholte ein Polizeiwagen, und mit Handzeichen bedeutete mir einer der Beamten vom Fenster aus, anzuhalten. Meine Zuversicht war wie weggewischt. Mit verdoppeltem Herzschlag stieg ich vom Rad.
    Wie es denn mit meiner Fahrradbeleuchtung ausschaue, wurde ich gefragt. Der Polizist war groß und trug eine Brille, unter der etwas zu

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