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Circulus Finalis - Der letzte Kreis

Circulus Finalis - Der letzte Kreis

Titel: Circulus Finalis - Der letzte Kreis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tarek Siddiqui
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fand aber nichts. An dem kleinen Teich in der Mitte des Gartens entdeckte ich einen faustgroßen Stein und erwog, eine Scheibe einzuwerfen, aber die Gefahr, auf diese Weise nur in einen von außen abgeschlossenen Klassenraum zu gelangen, war groß. Auch wollte ich nicht ein zweites Mal an diesem Tag mit Gewalt einbrechen, wenn es sich vermeiden ließ. Eine List, fand ich, stünde mir viel besser zu Gesicht. Ich brauchte eine gute Geschichte für die Pförtnerin, die am Haupteingang Dienst tat.
    Der Weg zur anderen Seite des Gebä udes war nicht lang, aber gut beleuchtet, und abgesehen von einigen Bäumen gab es kaum Schutz für mein Vorhaben, die Strecke schnell und unauffällig zu überwinden. Ich fühlte mich ausgesetzt und verfolgte misstrauisch die etwas fahrigen Bewegungen meiner Glieder, in die inzwischen die Kälte eingedrungen war. Das letzte Stück war das unangenehmste: An der Fassade des Schulgebäudes entlang, das Krankenhaus auf der anderen Seite, und jenseits der es eingrenzenden Mauer unser Rettungswagen, von dem zum Glück nur das Dach zu sehen war. Vielleicht hätte ich warten sollen, aber jetzt war es zu spät für diese Überlegung.
    Ein vorsichtiger Druck gegen die Tü r, aber sie war versperrt. Also läutete ich. Ohne Verzögerung erklang der Summer, und ich trat ein wie ein willkommener Gast.
    Drei verschieden Geschichten hatte ich mir auf dem kurzen Weg bereitgelegt, um mich spontan entscheiden zu kö nnen, wenn ich sah, wer an der Pforte saß. Alle drei waren sie gleich wenig geeignet, glaubhaft zu erklären, warum ich an einem windigen Februarabend um halb acht Einlass ins Gebäude erbat. Dann stand ich an der Pforte und sah über den Tisch.
    „ Einen Moment bitte…“, krächzte eine Stimme.
    Die Schwester, die mir die Tü r geöffnet hatte, suchte irgendetwas unter dem Tisch, und nur ihre schwarze Kutte war zu sehen. Die Erinnerung an ihre Gestalt und Tonlage war noch da; sie musste inzwischen weit über siebzig sein. Ich schloss meinen Mund wieder und ging auf meinen Turnschuhen so leise und rasch wie möglich an der Pforte vorbei.

    Nach wenigen Metern erklang ihr erstauntes Rufen, hallo, und ob da jemand sei, dann hörte ich ein Geräusch und stellte mich in einen der seitlich vom Gang abzweigenden Türrahmen. Der war nicht tief genug, aber das war vielleicht mein Glück; sie sah den Gang entlang und hätte vielleicht das Licht eingeschaltet, wenn sie dort irgendein taugliches Versteck vermutet hätte. So blieb ich unerkannt und setzte meinen Weg fort, während sie zurück an ihren Platz schlurfte. Bei der nächsten Gelegenheit wechselte ich hinauf in den ersten Stock, stand eine Sekunde vor dem Schwarzen Brett neben dem Sekretariat und atmete tief die etwas staubige, etwas trockene, mit Linoleum und Reinigungsmitteln versetzte Luft der leeren Schule ein. Ich fühlte mich sicher, ja geborgen fast, und spürte den Erinnerungen nach.
    Mit einer gewissen Verwunderung wurde mir bewusst, dass ich im Rü ckblick die Jahre in der Schule idealisierte – nicht ganz unreflektiert, aber dennoch. Dabei war es eine Zeit der Zwänge; viele davon sicherlich berechtigt oder zumindest effektiv im Sinne von Bildung und Ausbildung, andere wieder willkürlich und überflüssig. In jedem Fall war es eine intensive Zeit gewesen, und vielleicht war es das, was sie mir im Nachhinein so viel besser erscheinen ließ.
    Von unten hö rte ich erneut ein Klingeln, lang und mit Nachdruck. Die Tür wurde geöffnet. Das Gespräch wurde leise geführt, aber da es im ganzen Gebäude ansonsten vollständig still war, konnte ich jedes Wort verstehen.
    „ Ah – haben Sie eben schon?“
    „ Nein, nein, das war wohl jemand anders. Uns ist, ehrlich gesagt, jemand entwischt.“
    „ Entwischt? Hierher? Aber ich habe niemand gesehen!“
    „ Tja, vielleicht irren wir uns. Aber wir würden uns gerne umsehen. Wissen Sie, er ist, na ja, ein Patient der Psychiatrie. Unter Umständen gefährlich.“
    Sie machte Ah , und dann hörte ich Schritte. Es war unverkennbar Tann, der gesprochen hatte, und sehr wahrscheinlich begleitete Wegmann ihn. Ich nahm mir noch die Zeit, auf die Schritte zu lauschen, die bereits näher kamen. Sie waren zu dritt oder zu viert, so vermutete ich.
    Vor einer Minute hatte ich mich bereits am Ziel gesehen. Doch offensichtlich war meine Vorsicht nicht groß genug gewesen. Ich überlegte kurz, was sie tun würden. Sich aufteilen, vermutlich; dem Gang folgen, aber auch die Treppe abdecken, die vom

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