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Circulus Finalis - Der letzte Kreis

Circulus Finalis - Der letzte Kreis

Titel: Circulus Finalis - Der letzte Kreis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tarek Siddiqui
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hinaus, wo sich so gut wie nichts verändert hatte. Vielleicht war es ein wenig dunkler geworden, bald würde es beginnen zu dämmern.
    Siad hä tte sein lautes Lachen gelacht, wenn er mich so hätte sehen können, und ich fragte mich, wann sich die Gelegenheit bieten würde, ihm etwas von all dem zu erzählen.
    Er hatte es mir leicht gemacht und das Gebä ude verwendet, in dem ich, abgesehen von meinem Elternhaus, mehr Zeit verbracht hatte als in jedem anderen: unsere alte Schule.
    Sie war nicht vollstä ndig wiedergegeben, sonst hätte ich den Grundriss vermutlich wirklich gleich erkannt; er hatte sich auf das Hauptgebäude mit seinen Erweiterungen beschränkt und den Neubau außer Acht gelassen. Die Schule war einst ein Lyzeum gewesen, eine reine Mädchenschule in Trägerschaft eines katholischen Ordens. Unterrichtet wurde von Ordensschwestern. Seitdem hatte sich viel geändert; nur mehr drei oder vier Schwestern waren im Schuldienst tätig, und auch eine gewisse Quote Andersgläubiger wurde, so wie Siad, aufgenommen. Die Schule war schnell gewachsen. Eltern erhofften sich hier einen Rückzugsbereich nicht so sehr religiöser Art wie klassischer Bildung und Werte, und der wöchentliche Besuch des Schulgottesdienstes in der eigenen Kapelle war für alle katholischen Schüler nach wie vor Pflichtveranstaltung.
    Ich legte die beiden Blä tter auf den Schreibtisch und versenkte mich wieder in ihre dreidimensionale Betrachtung, ergänzt durch meine schon nicht mehr ganz frische Erinnerung. Folgte in Gedanken den Gängen und stellte mir die verschiedenen Räumlichkeiten vor.
    Schließ lich wurde ich fündig: Da war ein winziger Kreis, den ich bisher, wenn überhaupt, eher als Punkt oder Verschmutzung wahrgenommen hatte. Aber er fand sich auf beiden Blättern in verschobener Position, und in der dritten Dimension schwebte er im zweiten Stock des Turms , der kein historischer Bestandteil des Gebäudes war, sondern ein seitlicher Anbau mit einem zusätzlichen Treppenhaus, Toiletten und einem Klassenzimmer pro Etage.

    Dorthin wollte, dorthin musste ich gelangen. Kurz erwog ich, für die Nacht einfach in ein kleines Hotel zu gehen, wo bar bezahlt wurde, mich auszuschlafen und morgen ausgeruht die Suche zu beginnen. Aber ich wollte die Geschichte zum Abschluss bringen. Zwar dachte ich kaum darüber nach, was Siad dort, in unserer alten Schule, deponiert haben mochte, aber ich hatte keine Zweifel, dass es die Lüge widerlegen, den Spuk beenden und die Kollegen überzeugen würde.
    Es musste einfach so sein.

    Wie konnte ich mö glichst unbemerkt wieder zurück in die Chemiestadt gelangen? Die Fahrt mit Bus und Bahn war zeitaufwändig und erforderte mehrmaliges Umsteigen. Dieser Weg schien mir ferner seit der zufälligen Begegnung mit Borsberger unsicherer, als er vielleicht wirklich war. In jedem Fall musste ich an einer der leicht zu überblickenden Bahnhaltestellen in der Stadt aussteigen, oder aber noch mehr Zeit verlieren. Einen Leihwagen zu organisieren brachte Umstände mit sich; auch dafür musste ich zuerst von der Universität zurück ins Zentrum. Die Möglichkeit, eines der Ausflugsboote zu besteigen, verwarf ich gleich wieder. Zu dieser Jahreszeit fuhren ohnehin nur wenige Passagierschiffe.
    B lieb noch das Taxi. Das war mir angesichts der Erfahrungen der letzten Woche wenig sympathisch, aber nüchtern betrachtet wäre es wahrscheinlich kein Problem, den Fahrer mit einem Trinkgeld zu motivieren, die Fahrt nicht über Funk zu melden.
    Dann fiel mein Blick auf den Schlüsselbund auf dem Schreibtisch. Nur das Nötigste, den Haus- und den Zimmerschlüssel hatte Siad offensichtlich mitgenommen ins unfreiwillige syrische Exil. Ich griff nach den verbliebenen Schlüsseln und nahm eine von Siads Jeansjacken vom Kleiderhaken. In einer Schublade suchte und fand ich Sekundenkleber, fügte damit, so gut es ging, das gesplitterte Holz am Türschloss wieder zusammen, und zog die Tür vorsichtig von außen zu.

    Das Fahrrad stand verwaist vor dem Wohnheim. Ich schloss auf, trat einen Schritt zurück, und überlegte noch einmal, ob mein Entschluss richtig sei. Dann machte ich mich auf den Weg.
    Keine Frage, Zeit wü rde ich so nicht sparen. Aber je länger ich auf Siads dünn bereiftem, aber alltagstauglichen Sportrad unterwegs war, desto wohler fühlte ich mich. Ich fürchtete, die Severiter könnten unter einem Vorwand so etwas wie eine Übung ausgerufen haben, um nach mir zu suchen; vielleicht benötigten sie auch keinerlei

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