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Circulus Finalis - Der letzte Kreis

Circulus Finalis - Der letzte Kreis

Titel: Circulus Finalis - Der letzte Kreis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tarek Siddiqui
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entgegnete dann:
    „ Natürlich. Irgendwie. Genau diese ständige Suche nach vagen Verbindungen ist das Problem. Wahrsager, Sternzeichen, Numerologie, der ganze Mist. Ihr seid zu weit gegangen.“
    Am anderen Ende der Leitung nicht einmal ein Atmen. Dann:
    „Vielleicht sollten wir alle in Zukunft besser abwägen, was wir tun.“ Er sagte abwägen, und ich war mir sicher, dieses Wort noch nie zuvor aus seinem Mund gehört zu haben. Ein leises Klicken, sehr sanft, wenn es das gibt; er hatte aufgelegt.

43
    Das Fliegen, eine abrupte Art der Fortbewegung, die einen einsaugt und in der Fremde wieder ausspeit, vorbereitungs- und übergangslos. Ich checkte ein wie ein flüchtiger Bankräuber, nervös und fahrig; die wenigen Wolkenlücken hatten sich inzwischen geschlossen, und Regen fegte in Böen über den Beton. Vom Wind geschüttelt, verließ das Flugzeug die Startbahn: Die Ebene fiel zurück, der Fluss mit all seinen Windungen, dann umfasste uns Gewölk. Ich nahm mein schwarzes Notizbuch aus der Jackentasche, um mich daran festzuhalten. Im Abstieg kurz der Umriss des Flugzeugs auf einer Leinwand aus Wolken, umgeben von einer schwach regenbogenschattigen Aura.

    Selbst das andere Ende der Welt ist heute nicht weiter als eine Tagesreise entfernt, und für eine Flucht in die Ferne gab es keinen Anlass. Eine Mischung verschiedener Umstände, die relative Nähe, das dennoch Neue, vielleicht auch der Gedanke an Alfred Schlager, trugen dazu bei, dass es mich nach Wien zog, um neu zu beginnen. In eine Stadt, der man eine gewisse Morbidität nachsagt, eine verhaltene Todessehnsucht: Aber ich kann nicht viel davon entdecken. Sie mag wohl auf dem ausgedehnten Zentralfriedhof zu spüren sein, in den Katakomben, die ich aber nicht aufsuche, und gelegentlich an einem Nebeltag Besitz von der in Sorgfalt gealterten Innenstadt nehmen. In manchem Alt-Wiener Kaffeehaus ist sie zu ahnen, aber auch die meide ich: Groß ist die Auswahl an modernen Bistros und Cafés, die mit Chrom, Leder und international gut durchmischten Speisekarten locken.

    Die neue Umgebung empfing mich mit wohlwollendem Gleichmut. Ich fühlte mich fremd genug, um mich fern zu wähnen, aber doch war hier alles voll von Vertrautem. Ich suchte mir eine kleine Altbauwohnung unter dem Dach, mit Hochbett und Fenstern gen Südwesten, so wie ich es gewohnt war, und fand einen Friseur, der mir durch Schweigen bei der Arbeit die erforderliche Entspannung gewährte. Ganze Tage hielt ich mich in den Buchhandlungen der Stadt auf, schlich über die Etagen und durch die Regalreihen, und verschaffte mir eine Übersicht über das Angebot verschiedener Verlage; dann machte ich mich daran, mit einem Exposé und ein paar Auszügen aus meinen Notizen Interesse für ein Buch zu wecken.
    Es war eine frustrierende Arbeit; ich kam mir v or wie ein hausierender Bettler. Und doch hielt ich durch, lebte bescheiden von meinen Ersparnissen, heftete Absagen besonnen ein und führte eine beständig wachsende Liste über die angeschriebenen und teilweise besuchten Verlage.
    Als ich gegen Ende des Som mers ernsthafte Zweifel am Gelingen des Plans zu hegen begann, erhielt ich eine vorläufige Zusage von einem kleinen Verlag. Man war verbindlich, wollte mich kennen lernen; alles ging erfreulich schnell. Bald hatte ich einen Vertrag und einen Vorschuss in der Hand. Meine Notizen aus dem Keller waren übersichtlich sortiert, und ich war begierig darauf, mit der eigentlichen Arbeit zu beginnen, sie einzugeben und zu einem Ganzen zu verbinden.
    Aber ich brachte nichts zu Papier.

    Zuerst dachte ich, es lä ge am Wetter. Der Herbst begann mit klaren, durchsichtigen Tagen und sich an den Rändern eindrehendem Laub. Aber auch, als der Nebel kam, die Distanzen vergrößerte, die Beziehungen zwischen den Dingen in Frage stellte und die Stadt belagerte, wurde es nicht besser. In meiner Wohnung zu schreiben, erwies sich als völlig unmöglich. Es war, als sei nicht genügend Platz für das Erlebte und mich. Der Ausblick aus dem Fenster, den ich sonst so genoss, machte mich schwindeln. Ohne es zu wollen, stellte ich mir vor, wie es wäre, aus dem vierten Stock auf den nebelfeuchten Asphalt zu stürzen. Es gab schwarze Stunden, in denen ich mich nicht mehr spürte, mich transparent fühlte, auf dem Weg zur völligen Auflösung. Das Bedürfnis wollte dann übermächtig werden, die Augen zu schließen: Nichts mehr tun, nichts mehr entscheiden müssen. Keine Fehler, keine Überraschungen, keine Begegnungen, keine

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