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Circulus Finalis - Der letzte Kreis

Circulus Finalis - Der letzte Kreis

Titel: Circulus Finalis - Der letzte Kreis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tarek Siddiqui
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zwischendurch, Treppensturz mit Verdacht auf Schädel-Hirn-Trauma, die Kollegen fluchen; inzwischen werden die Runden herunter gespult, die Reporter überschlagen sich, Weltmeisterschaft wieder verpasst. Krieg im Kongo: Bilder, die, wären sie nur Fiktion, die Festlegung der Altersfreigabe auf das Höchstmaß bedingen würden. Unser Funkmelder löst nicht aus, Dokumentarisches; ein Arzt, der ratlos auf den schwarzen Windschutz eines Mikrofons sieht, der ihm viel zu nahe vor das Gesicht gehalten wird. Berichte von Massenvergewaltigungen, noch immer kein Einsatz für uns; Bilder eines improvisierten, leeren Schlafsaals. Der Kampf des Mannes gegen die Verzerrung seines Gesichts, keinen Schutz findend vor unseren Blicken und dem blendenden Licht einer teilnahmslosen, afrikanischen Sonne.

    Wenn ich am frühen Abend von einer Vierundzwanzigstundenschicht zurückkehrte: Schon zu müde, um ein richtiges Abendessen zuzubereiten, nur mit zwei Scheiben trockenen Brotes in der Hand, das Elementare, es schmeckte auch so; ging ein paarmal kauend auf und ab, dieses und jenes in die Hand nehmend, sah aus dem Fenster; das war, gemessen an der Müdigkeit, so etwas wie Glück. Zu Hause eben. Legte ein Kissen in jene Ecke der Wohnung, die die letzten staubigen Strahlen der Sonne noch erreichten, um darauf sitzend zu lesen. Während die Dämmerung fortschritt, gelangte ich zur Ruhe, streckte mich auf dem dünnen Nadelfilzteppich aus, der sich trotz der Kleinheit des Raumes weit spannte, und wenn das Licht zu schwach wurde und die Buchstaben im Dunkel verschwammen, schlief ich ein. Mit den Resten des wachen Bewusstseins noch wahrgenommen ein wiederkehrendes Geräusch, wie von Bowlingkugeln, die gleichmäßig über den Flur rollen, dessen Ursprung mir verborgen blieb und wohl bleiben wird.

    Ich träumte –
    ein Fensterflü gel sei offen, oder ist er es wirklich? Es riecht nach Regen.
    Lauschend, auf dem Bett liegend, schaue ich durch die halb geschlossenen Sichtblenden in den ü ber der Stadt nie ganz finsteren Nachthimmel. Auf den niedrigen Wolken gelblich der Widerschein der Industriebeleuchtung, doch von dieser Position aus ist kein einziges Häuserdach und keine einzige Fernsehantenne zu sehen; das ist schön, auch der freie Blick ist nur eine Frage der Perspektive.

    Von draußen Stimmen: dazu das Geräusch unablässigen Regens. Benommen richte ich mich auf, um das Fenster zu schließen, und sehe hinaus. Statt der erwarteten Frühlieferung im Hof des Getränkemarktes nur eine Gestalt im Arbeitskittel, die einen grünen Sportwagen im Licht der Reklameschilder und Neonleuchten wäscht. Der Mann sieht herauf, er hat einen Sonnenbrand, und fragt, was machst du; die den Hof eingrenzenden Mauern tragen den Schall klar und deutlich an mein Ohr. Ich schließe das Fenster und lege mich wieder aufs Bett, das gleichmäßige Rauschen des Regens bleibt. Falls ich wach war, schlafe ich jetzt wieder ein.
    Ein Traum im Traum: Durch die Sichtblenden ist der Tag zu ahnen, und als ich ans Fenster trete, sehe ich nur noch mächtige, nach unten entschwindende Wolkenquellungen, in ein milchig graues Licht getaucht. Ich spüre die Aufwärtsbewegung, und es fühlt sich richtig an. Mir ist, als habe ich immer geahnt, dass ich eines Tages mit meiner Wohnung, Nummer 48, in die Atmosphäre entschwinden würde.
    Nach dem Aufwachen dauert es eine ganze Weile, bis das Empfinden einer immer hö her hinaufstrebenden Bewegung nachlässt.

    Alles in allem, die unregelmäßigen Dienste waren ein Glücksfall. Die Schichten begannen meistens morgens oder abends, manchmal auch mittags, und dauerten zwischen zwölf und vierundzwanzig Stunden. Ich genoss es, am Freitagabend in Dienst zu gehen, dann, wenn die Woche für andere beendet war, oder am Sonntagmorgen mit den letzten überreizten Nachtschwärmern zurückzukehren. Für die Busfahrt zog ich eine Jacke über die cremefarbene, schwer entzündliche, wasserabweisende Uniform, die bequem und an und für sich nicht schlecht geschnitten war, und kehrte zurück in die Anonymität des Alltags. Die vergangene, fragmentarische Nacht wirkte nach, wie in einem Ferngespräch über mehrere Kontinente hinweg erreichten alle Geräusche leicht zeitverzögert die Sinne, und ich fühlte mich von dem Geschehen um mich herum noch weiter entfernt als sonst. Ein Gefühl wie vor einer Krankheit, die man schon im Körper spürt, obwohl es noch keine Symptome gibt. Die Genesung erfolgte im Schlaf, in einem Schlaf wie einer Naturgewalt, der

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