Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Circulus Finalis - Der letzte Kreis

Circulus Finalis - Der letzte Kreis

Titel: Circulus Finalis - Der letzte Kreis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tarek Siddiqui
Vom Netzwerk:
an Tiefe für die Versäumnisse der vergangenen Nacht entschädigte; einer meist über weite Strecken traumlosen Reise ins Dunkel, von der zurückzukehren immer wieder eine milde Überraschung war.

    Zur Arbeit in der Notfallrettung gehört eine gewisse Faszination des Schreckens. Jeder der Kollegen sah seine Tätigkeit hier als sinnvoll an, aber für keinen war das der ausschlaggebende Grund für sein Engagement. Auch für mich nicht; ich brauchte den Gegenpol zu meinem selbst gewählten Einsiedlerdasein in der Anonymität, das Gefühl, am Leben teilzuhaben, vielleicht weniger als das: nur eine Vorgabe von außen, einen beständig wechselnden Rhythmus.
    Fast alle hier waren bä rtig, fällt mir wieder ein. Und ich passte dazu, auch wenn mein Schnurrbart unregelmäßig war, eher wie eine Verkleidung wirkte, hier etwas dichter, da etwas länger – vielleicht trug ich ihn deshalb.

    Während der langen Schichten lernte man seine Kollegen gut kennen; im Lauf von vierundzwanzig Stunden hat jeder seine authentischen Momente. Kaum je weiter voneinander getrennt als Fahrerkabine und Patientenraum des Rettungswagens, als Aufenthalts- und Schlafraum, wohin man sich für eine Weile zurückziehen konnte.
    Metz Schritte nebenan; bis zur Wand, Wende, zurü ck, Stillstand – vor dem Spiegel, kein Zweifel. Zu erahnen nur, wie er die Stirn in Falten wirft, dann ein kaum hörbares, leicht schabendes Geräusch: Er strafft seine Uniform, betrachtet das Ergebnis – um wen zu beeindrucken? Was zu erreichen? Ich höre, wie er sich am Kopf kratzt, über die Bartstoppeln am Kinn fährt. Aber was ist es, das ihn antreibt, was befeuert seine Träume? Das bleibt im Dunkeln.

    Rauschen, Knistern, unverständliche Wortfetzen. Dann eine kurze elektrostatische Entladung, ein scharfer Schnitt.
    „ Severin fünf dreiundachtzig eins, wieder frei, Hörriger Weg – für uns kein Einsatz.“
    Ich bin es, der da spricht, auch wenn es sich fremd anhö rt: Technisch verzerrt, der Obertöne beraubt, moduliert, aber einfach auch, weil jeder am Funk eine etwas andere Stimme verwendet. Und was so harmlos klingt, so als ob hier nichts passiert wäre – bedeutet genau das Gegenteil: Alles ist passiert, ist vorüber. Der Notarzt hat den Tod des Patienten festgestellt. Für uns kein Einsatz.
    Codes, Kü rzel, das Makabre in einfache Worte gefasst. Ich mochte den Funk, diesen Anachronismus angesichts der zunehmenden Verbreitung von Satellitennavigation und Mobiltelefonie. Die größte Einschränkung beim Funkverkehr erwächst aus dem Umstand, dass zu jedem Zeitpunkt nur ein Teilnehmer sprechen kann. Versucht es ein Zweiter, so ist in der Regel gar nichts mehr zu verstehen. Untauglich für unsere Breiten, wie Lambertus gelegentlich kopfschüttelnd attestierte, wo jeder in dem, was der andere sagt, nur eine entbehrliche Unterbrechung des eigenen Monologes sieht.
    Etwas Geheimbü ndlerisches lag darin, wenn man so leicht vorgebeugt im Dunkel des Fahrerhauses saß, bedeutsam Worte wiederholend, die in keinem anderen Zusammenhang Sinn ergeben würden. Auf allen Ebenen der Hierarchie gab es Vereinsmitglieder, die privat sogenannte Scanner besaßen: Geräte, die illustre Versandfirmen mit dem Hinweis Besitz erlaubt, Benutzung verboten offerierten, und die den Empfang der Frequenzen von Flug- und Polizeifunk, sowie eben auch der Feuerwehren und Rettungsdienste ermöglichten.
    Funkrufnamen: Florian, der Schutzpatron oder Akkon, die Kreuzfahrerburg. Heilige kombiniert mit Zahlen, wie Bibelverse. Au ch Johannes drei neunzehn eins meldet eine Fahrt, und wenn man dramatisch veranlagt ist, bibelfest und ein bisschen flexibel - schließlich gibt es ja neben dem Evangelium mehrere Briefe des Johannes, und dann ist da noch die Offenbarung – dann kommt einem vielleicht etwas in den Sinn wie: Das ist aber das Gericht, dass das Licht in die Welt gekommen ist, und die Menschen liebten die Finsternis mehr als das Licht; denn ihre Werke waren böse.

    In den Nächten von Freitag auf Samstag und von Samstag auf Sonntag schlug die Finsternis mit der Regelmäßigkeit eines Uhrwerks zu, jede Woche wieder. Wir selbst, mit den großteils beleuchteten, geradlinigen Stadtautobahnen waren kaum davon betroffen, aber etwa eine Autostunde südlich, in jener ländlichen Region, deren Rettungsleitstelle sich mit der unseren den Funkkanal teilte, konnte man die Uhr danach stellen. Irgendwann ab zehn am Abend der erste Verkehrsunfall auf einer der gewundenen Landstraßen des Mittelgebirges, der

Weitere Kostenlose Bücher