Circulus Finalis - Der letzte Kreis
Höhepunkt dann zwischen Mitternacht und vier Uhr morgens: mindestens einer, manchmal zwei oder drei schwere Unfälle. Meist mit eingeklemmten Personen, oft unter Beteiligung von mehreren Fahrzeugen. Die Umstände und ihre Verkettung mussten sich allen, die ihr Leben lang an diesen Tag zurückdenken würden, als schicksalhaft einbrennen; dabei war das Geschehen, mit etwas Abstand betrachtet, ein vorhersehbares und wöchentlich Wiederkehrendes. Wenn wir untätig auf der Wache saßen und am Funk mithörten: Nicht einmal Metz äußerte den Wunsch, bei uns möge doch auch endlich wieder etwas los sein.
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Nach der vorderhand erfolgreich verlaufenen Reanimation gleich zu Beginn stand ich von einem Moment zum nächsten in dem Ruf, ein fähiger Mann zu sein und außerdem interessante Einsätze anzuziehen . Beides war gleichermaßen absurd; eine Wiederbelebung ist so etwas wie eine Standardsituation beim Fußball, in der Optionen und Maßnahmen klar vorgegeben sind.
Nicht beeindruckt war denn auch Alfred Schlager, und ich fand das erholsam, aber auch ein kl eines bisschen irritierend. Er war der Einzige im Kollegenkreis, der von weiter herkam, aus Wien: Und erzählte, seinen Akzent voll auskostend, verschiedene Versionen, die sein Hiersein alle nicht recht erklärten. Er war nageldünn, mit leicht fettigen, braunen Haaren und einer Nickelbrille. Diese war in einer konstant rutschenden Bewegung begriffen, der er mit einem ebenso regelmäßigen Zusammenknautschen der Nase begegnete, fast wie eine zwanghafte Zuckung. In seinen Augen stand ein besonderer Ausdruck, der zu sagen schien, ganz egal, was du vielleicht kannst oder zu tun gedenkst, ich werde nicht beeindruckt sein. Sein Zynismus war echt und umfassend, mehr als eine bloße Masche. Darunter zeigte sich gelegentlich die Sehnsucht nach seiner alten Heimat, vor allem nach den Bergen am Alpenrand, wo er früher gegangen und geklettert war, nach Rax und Schneeberg, von denen er als den Schauplätzen alpinistischer Großtaten erzählte. Daneben ließ er keinen Berg gelten, auch nicht den Everest. Manchmal spannte er zwischen dem Wachtor und der Halle ein handbreites Seil und balancierte darauf, um seinen Gleichgewichtssinn zu üben.
Keine Ahnung, wer ihn fü r den Umgang mit Kranken als geeignet befunden hat, dachte ich anfangs angesichts seiner oft herzlos wirkenden Direktheit, musste dann aber feststellen, dass unsere Patienten ganz gut darauf reagierten, dass ihnen jemand ohne die Absicht gegenübertrat, sie zu schonen.
Auch Angelika schonte er nicht. Ich hatte sie gleich in der ersten Woche hier kennengelernt.
Im Rettungsdienst selbst waren Frauen eher die Ausnahme. Die Emanzipation schreitet auch hier voran, nur leicht gebremst durch die wiederkehrende Notwendigkeit, zwei Zentner schwere Patienten ü ber schmale Wendeltreppen zu transportieren. Doch ein gemeinnütziger Verein wie der Severinsbund bietet darüber hinaus viele Betätigungsfelder: Sanitätsdienste, Praktika, Jugendarbeit, und das zog auch Frauen an – ganz unterschiedliche.
Fü r einige junge Mädchen war die Dienststelle so etwas wie ein zweites Zuhause. Sogar mehr als das, wenn sie sich von ihrem angestammten Elternhaus wegen eines Zuviels oder eines Mangels an Zuwendung oder Aufregung gerne fernhielten. Auf der Wache war immer etwas los; man erfuhr Dinge, die, streng genommen, Dienstgeheimnisse waren und der Schweigepflicht unterlagen, und die schon allein deshalb interessant waren. Es gab immer etwas zu tun und zu sehen. Jemand brachte Kuchen mit, einer führte sein neues Auto vor, ein anderer reparierte sein altes über der Ölgrube in der Garage. Die Zeit hier war ein Flickenteppich aus den verschiedensten Aktivitäten, und wem sie sonst nicht schnell genug verging, der war auf der Wache gut aufgehoben.
Über Angelika wusste eigentlich niemand wirklich etwas, aber es gab ein paar andere Mädchen, von denen mehr bekannt war. Wenn ihre Vornamen es irgendwie hergaben, verlangten sie, dass man eine französische oder englische Variante verwendete. Sanitäts-Groupies nannte Metz sie manchmal schnaubend, weil sie sich einen Freund nach dem anderen aus dem erschöpflichen Vorrat der altersmäßig halbwegs geeigneten Kollegenschaft suchten, seien es Ehrenamtliche, Zivildienstleistende oder Hauptberufliche. Erstaunlicherweise gab es deshalb unter den Kollegen keine Feindschaft, keinen Streit; irgendwie waren die Erwartungen wohl nicht allzu hoch gesteckt.
Angelika war siebzehn, und bisher hatte sie
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