Circulus Finalis - Der letzte Kreis
Minuten hätten zusammenfassen lassen.
Die uneingeschrä nkte Bestechlichkeit des Einzelnen, so hatten die beiden Kollegen bereits beschlossen, war ohnehin über jeden Zweifel erhaben. Das Gespräch drehte sich nur mehr darum, wo der Preis anzusetzen sei. Trotz meines geringen Hanges zum Idealisieren ließen mich die ihrer Selbsteinschätzung nach Auf- und Abgeklärten schaudern, deren größte Weisheit nach vierzig Lebensjahren darauf lautet, dass jeder käuflich sei, persönliche Schwächen damit in den Rang globaler Wahrheiten erhebend. Tann schloss, so dachte ich mir, ohne meine Antipathie der Fairness zu opfern, einfach von sich auf andere. Von Borsberger hatte ich hingegen mehr erwartet, aber er gefiel sich ganz offensichtlich in der Rolle des klarsichtigen Realisten.
„Sieht so aus, als wolltest du etwas sagen“, versuchte Tann mich in die Diskussion zu ziehen, und seine Worte hatten den Unterton einer Herausforderung.
„ Das täuscht“, entgegnete ich wahrheitsgemäß.
„ Na ja, die alte Geschichte. Nacht mit deiner Frau. Wenn du eine hättest und ihr euch mögen würdet. Eine Million steuerfrei.“
„ Zu viele hypothetische Bedingungen“, wehrte ich ab. Für einen Augenblick kniff Tann die Augen leicht zusammen, als suche er nach einer kunstvollen Erwiderung, und ich dachte schon, mich erfolgreich behauptet zu haben. Aber er kannte mich besser als vermutet, und erwiderte nicht kunstvoll, sondern mit spöttischem Grinsen und ganz schlicht.
„ Das heißt also, du stimmst uns zu.“
Ich hä tte nur die Achseln oder Brauen heben und schweigen müssen, um meine Ruhe zu haben, aber natürlich antwortete ich, wie unter Zwang:
„ Die Million, das große Geld, alles nur eine Idee. Nichts Konkretes. Eine Vorstellung von Wohlbefinden und Allmacht, also eine Täuschung. Es gibt andere Ideen. Religiöse, meinetwegen. Familie. Naturschutz. Sportliche Herausforderungen, etwas zu tun, was noch niemand getan hat.“
Tann lachte spö ttisch. „Ja. Gibt es. Aber all das wird durch Geld sehr viel leichter. Oder überhaupt erst möglich.“
Ich seu fzte. „Das sind ja nur Beispiele. Es gibt Ideen, die Käuflichkeit weitgehend ausschließen. Eine gewisse Art von Stolz. Die bewusste Entscheidung, nicht käuflich zu sein. Überzeugungen: Das Geld nicht das Wichtigste ist. Dass der Zweck nicht die Mittel heiligt.“
„ Und du bist so einer, wie? Unbestechlich?“
Die Nackenhaare strä ubten sich mir angesichts von Tanns Versuch, aus der Diskussion etwas Persönliches zu machen.
„ Um mich geht es nicht. Es geht darum, ob jeder käuflich ist, wie du sagst.“
„ In Ordnung, also, stellen wir uns einen richtigen Gutmenschen vor.“ Ich fragte ihn, was das wohl sei, und er erwiderte sehr überlegt, das sei jemand, der bei einem Räumungsverkauf kein Sonderangebot in Anspruch nehmen könne, ohne sich dabei wie ein Aasgeier vorzukommen. Über die Definition musste ich wider Willen grinsen, Tann sah es und fuhr fort.
„ Gut. Ein Wohltäter, der nichts gegen seine Überzeugung tut. Könnte der nicht mit viel, viel Geld noch viel mehr Gutes tun? Meinetwegen mit ein paar Milliarden? Wäre er nicht fast verpflichtet?“
Ich wandte ein, das sei schon ziemlich weit entfernt von der anfangs diskutierten Kä uflichkeit um eines persönlichen Vorteils willen. „Aber selbst, wenn wir das beiseitelassen: Dein Wohltäter könnte zu dem Schluss kommen, dass es der Welt nicht an Banknoten mangelt, sondern an Menschen, die sich selbst und ihren Überzeugungen treu bleiben.“ Ich sprach von Dingen, von denen ich eigentlich nicht viel verstand, aber da es den anderen offensichtlich ähnlich ging, blieb das unbemerkt.
„ Und wenn einer in Not ist? Hungert?“ Borsberger war das.
Ich seufzte. „ Bei uns sind Menschen in erster Linie aus Gier käuflich, nicht aus Not. So zu tun, als wäre jeder käuflich, als wäre dumm, wer es nicht ist, soll diesen Umstand nur legitimieren.“
Tann ha tte sich zunehmend weniger beteiligt, das Thema begann ihn zu langweilen, und er meinte abschließend und in versöhnlichem Ton, na ja, zumindest normale Menschen seien halt käuflich.
Zweifellos eine interessante Einschrä nkung. Das Gespräch ließ etwas in mir zurück, eine Art unterschwelligen Zorns, dessen ich mir erst sehr viel später bewusst wurde. Diese beiden ihren unerschütterlichen Glauben an den Materialismus verlieren zu sehen: Das wäre etwas.
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Weihnachten oder Silvester: Eines der beiden Feste würde ich auf der
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