Circulus Finalis - Der letzte Kreis
Und selbst im Film, wie auch in der Realität, war man zufrieden, wenn zumindest eine der beiden Faktoren, die der Dauer oder die der Liebe, erfüllt war. In ihrer Gegenwart hatte ich nicht an den nächsten Tag gedacht; und dennoch, jetzt schien es mir undenkbar, dass den Momenten, in denen wir uns nah gewesen waren, nichts mehr folgen sollte.
Ansonsten brauchten wir uns über mangelnden Besuch in dieser Zeit nicht zu beklagen: Eine neue Anschaffung auf der Wache sorgte für Zulauf. Lambertus hatte eine Espressomaschine gekauft, und Metz hatte es sofort übernommen, eine Liste zu erstellen, auf der die Einschulung jedes Mitarbeiters mit Datum und Unterschrift bestätigt wurde, so wie er es bei einem neuen Defibrillator gemacht hätte. Ein sauber laminiertes Schild an der Rückseite forderte ferner von jedem Benutzer eine sachgemäße Reinigung des Geräts. Doch trotz dieser Beschränkungen füllte sich die bunte, inhomogene Sammlung von Tassen von diesem Zeitpunkt an mit einer Auswahl unterschiedlicher Kaffeevariationen, nicht immer nur von offiziell autorisierten Händen zubereitet. Und, womit Metz nicht gerechnet hatte, und was ihn gelegentlich zu unterdrücktem Fluchen nötigte: Von nun an waren wir zumindest tagsüber so gut wie nie allein, und so manche nicht lebensnotwendige, aber der Vollständigkeit halber geschätzte Äußerung von Thomas Gottschalk, Bruce Willis oder Norbert Blüm ging unter im druckvollen Rattern der Maschine. „Hätten wir das Ding bloß nie angeschafft“, nörgelte Metz dann gar nicht leise, aber auch das ging unter, und zum Trost machte er sich einen weiteren Espresso. Zischend wurde Milch aufgeschäumt, aber eines überraschte vermutlich auch ihn, Metz, selbst: Seine Betriebsordnung wurde im Großen und Ganzen befolgt. Die Maschine gereinigt, sogar regelmäßig entkalkt, und es war Ehrensache, Münzen in angemessenem Umfang in einer scheppernden Metalldose zu deponieren. Ich kannte zwei oder drei andere Wachen, aber hier ging es disziplinierter zu als anderswo, effizienter, straffer. Ein wenig militärisch fast. Ein wenig elitär.
Gelegentlich nahm ich fü r ein paar Augenblicke, vielleicht auch für eine Stunde oder zwei, eine ungewöhnliche, intensive Atmosphäre wahr, wenn auch wie so oft aus der Distanz: je nach der Zusammenstellung der sehr unterschiedlichen Charaktere eine Mischung von Sportbar, Debattierklub, Herrenzirkel, Literaturcafé, Kulturverein, Begegnungsstätte. Eher noch etwas Eigenes, ein freier Raum, wo sich drei Männer von insgesamt hundertzwanzig Jahren in der dreiundzwanzigsten Stunde eines freiwilligen Dienstes aufmerksam die Gedanken eines Teenagers über das Leben anhörten. Wo sich zwischen einem Architekten und einem Malergehilfen, dessen routiniert rauer Morgengruß anderswo eine Schlägerei ausgelöst hätte, eine Diskussion über den Nahostkonflikt entspann. Oder wo ein Zivildienstleistender über die Durchschlagskraft verschiedener Handfeuerwaffen dozierte.
Das Niveau schwankte stark, je nach Mü digkeit, Thema und Zusammenstellung der Anwesenden; mal bewegte es sich zwischen Stammtisch und Schützenverein, mal traten erstaunliche und ungewöhnliche Gedankengänge zu Tage. Viel, das gesprochen wurde, war politisch nicht korrekt; der tägliche Umgang mit Behinderten, Kranken, dem Tod tat sein übriges. In manchen Stunden war es ein geschützter Raum, der entstand, und was hier gesagt wurde, das blieb hier. Zwar beteiligte ich mich selten, aber auch ich hielt mich daran.
Eine der wenigen Diskussionen, in die ich mich hineinziehen ließ, war das weitgehend vorhersehbare Gespräch über das große Geld und seine Wirkung: dass letzten Endes jeder käuflich sei. Ich war mit dem ruhigen, fadblonden Bernd Borsberger eingeteilt, zwei Kinder, verheiratet mit einer bekannten Dressurreiterin, was mir immer bemerkenswert unwahrscheinlich erschien – ein angenehmer Kollege, der immer tief und langsam sprach, und bei dem sich selbst unter größtem Druck die Anspannung nicht anders zeigte als mit ein paar roten Flecken auf der blassen Haut.
Tann, dessen Schicht bereits vor einer knappen Stunde geendet hatte, leistete uns noch Gesellschaft; offensichtlich hielt sich sein Drang nach Hause in Grenzen. Auch Angelika war da, Geli, wie sie genannt werden wollte; saß ruhig in der Ecke und spielte mit ihren langen, dünnen Haaren. Aus dem Fernseher sickerte einer von ungezählten lähmenden Berichten zu einer Klimakonferenz, deren konkrete Ergebnisse sich in fünf
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