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Circulus Finalis - Der letzte Kreis

Circulus Finalis - Der letzte Kreis

Titel: Circulus Finalis - Der letzte Kreis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tarek Siddiqui
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irgendetwas zu erledigen. Zwei Burschen, wie er sagt, vielleicht vierz ehn Jahre. Mit einem Baseballschläger, weiß lackiert, zwei aufgemalte Streifen am breiteren Ende. Stehen neben ihm, warten auf das Grün der Ampel. Grinsend. Ohne Vorankündigung trifft der Schlag den Unterkiefer. Sie laufen weg, er zeigt uns wieder die Bruchstücke seiner Zahnprothese. Es scheint ihm nicht bewusst zu sein, dass auch der Kiefer gebrochen ist, möglicherweise mehrfach. Unser Praktikant hört großäugig zu, hätte sich vermutlich eher eine Embolie gewünscht, einen Schlaganfall, nur irgendetwas, irgendetwas anderes.

    Nach der Fahrt kaum etwas zu tun; der Einsatz hat keine Spuren hinterlassen im Patientenraum des Rettungswagens. Ein paar Kompressen, die Nierenschale, sonst haben wir nichts verbraucht. Wir melden uns einsatzbereit, und die Leitstelle fragt, ob wir einen schnellen Krankentransport übernehmen können. Nicht einmal Tann mault angesichts der blaulichtlosen Fahrt.
    Unser Patient ist Mitte siebzig, seine Frau begleitet ihn voller Sorge. Starke Kreislaufbeschwerden am 24. Dezember gegen 17 Uhr. I m Krankenhaus erfahren wir, dass sich der Mann am Morgen entgegen dem ärztlichen Rat aus stationärer Behandlung entlassen hat, um zuhause Weihnachten zu feiern. Der aufnehmende Internist stellt sicher, dass die beiden Alten begreifen, wer von Anfang an Recht gehabt hat. Wir hören ihn noch, nachdem die Stahltür des Aufzugs sich wieder hinter uns geschlossen hat.

    Jenseits des Krankenhausflures Weihnachtlichkeit, die Leitstelle bedankt sich unnötigerweise für den bereitwillig übernommenen Krankentransport. Auf der Wache wartet schon unsere Ablösung – frühzeitig, damit ein Einsatz kurz vor Schluss unser Dienstende nicht verzögern kann. Festliche Stimmung, irgendwie; Lambertus schaut vorbei und verteilt kleine Geschenke. Für seine Besten, wie er mit Augenzwinkern sagt.

    Wir verabschieden uns, frohe Weihnachten. Die kurze Fahrt mit der Bahn zum Haus meiner Eltern, doch schon bei den ersten weihnachtlichen Düften revoltiert der Magen – ich muss etwas Falsches gegessen haben.

12
    Weihnachten ging zum größten Teil an mir vorbei in diesem Jahr, und ich blieb bei meinen Eltern, um mich auszukurieren, oder besser auskurieren zu lassen. Ich hatte nichts zu lesen eingepackt und fand in meinem alten Bücherregal nur Düsteres: Einen Jugendroman über die zusehends verkümmernden Reste des Lebens in der deutschen Peripherie nach einem atomaren Erstschlag; ein dünnes Sachbuch über Gefahr und Folgen eines Atomkrieges, dessen Kapitelüberschrift Ein Staat der Gräser und Insekten ich nie vergessen habe, und, das versprach bessere Unterhaltung, eine inzwischen fast zwanzig Jahre alte, populäre Auslegung der Großen Prophezeiungen des Nostradamus mit Weissagungen bis ins Jahr 2050 . Nach kurzer Zeit fühlte ich mich schon fast so wie damals, mit zwölf Jahren vielleicht, krank im Bett mit einem Stapel von Büchern, auf eine zweiwöchentlich gesendete Musiksendung im Radio wartend, die ich abends mit dem Kopfhörer heimlich unter der Bettdecke hörte.
    Die spä ten siebziger und frühen achtziger Jahre stellen viele Menschen im Rückblick gerne als grandiose Epoche dar, auch weil die Schreckensszenarien der damaligen Zeit konkret nicht eingetreten sind und inzwischen durch andere ersetzt wurden. Mit dem Wissen, dass vorhergesagte und außerplanmäßige Weltuntergänge in der Zwischenzeit nicht stattgefunden haben, sind die überholten Zukunftsängste von gestern schnell vergessen. Die nukleare Vernichtung war für mich damals nicht so sehr eine drohende Gefahr, sondern nur eine Frage der Zeit. Ob ich diese Dinge damals schon aus der Distanz betrachtet hatte, das wusste ich nicht mehr.
    Nostradamus in der vom Autor angebotenen „ modernen Deutung“ beantwortete die Frage nach dem Wann des dritten Weltkrieges jedenfalls ziemlich klar: 1987, genauer gesagt der 21. August 1987; Alternativtermin: Juli 1989. Und auch wer den Anfang machen würde, ließ sich leicht beantworten. Da Nostradamus von „Speeren und Lanzen“ am Himmel spricht, und davon, dass nach „links hin der größte Konflikt gesehen“ werde, ist klar, dass der Krieg vom Osten begonnen wird, denn der liegt ja, schneller Blick in den Atlas, rechts. Die Möglichkeit, dass der große Seher seine Vision vom Erdboden aus mit Blick nach Süden (oder in irgendeine andere Himmelsrichtung?) beschrieben haben könnte, kam dem Nostradamus-Experten dabei nicht in den

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